12-1-2005

Die Happy Boys, von Jack Eisner

 

Artikel erschienen am Sa, 14. August 2004

Sie haben uns nicht erwischt

Holocaust-Überlebende spielen auf in Deutschland: Jack Eisner erzählt die Geschichte der "Happy Boys"

von Ulrich Baron

Jack Eisner: Die Happy Boys. Eine jüdische Band in Deutschland 1945 bis 1949. Aus dem Amerikanischen von Steve Klimchak. Aufbau, Berlin. 218 S., 19,90 EUR.

Im Jahre 1980 bekam Frau Feix in der ostdeutschen Kleinstadt Aken Besuch von drei Männern, die es eigentlich nicht mehr geben sollte. Ein gewisser Kurt betrat ihr schäbiges Wohnhaus in der Auguststraße 16 und erzählte ihr, "zwei alte Weggefährten ihres Mannes aus Amerika" seien gekommen "um ihrem Freund Reinhart einen Besuch abzustatten".

Aber die Besucher erlebten eine Enttäuschung. Feix hatte die "schlimmen Zeiten" nicht überlebt. Jahrelang habe ihr Mann in einem russischen Arbeitslager gegen Hunger und Krankheit angekämpft, dabei ein Bein verloren und sich schließlich erhängt. Und auch ihr Sohn, das einzige was ihr geblieben sei, habe sich umgebracht, "vor nicht einmal sechs Monaten".

Einer ihrer Besucher aus Amerika entsinnt sich der Zeit, als die Familie Feix noch ganz und beisammen war: "Ich erinnerte mich an die Tage im Lager, als Feix von seiner Familie Besuch bekommen hatte. Manchmal hatte er seinem kleinen Sohn einfach die Pistole in die Hand gedrückt und von ihm verlangt, auf irgendeinen der Insassen zu schießen. Der Junge tat, wie ihm befohlen wurde, und wandte sich dann mit Grauen ab, als sein Opfer tödlich getroffen zu Boden sank."

Der Tee, den Frau Feix aus der Küche geholt hatte, blieb ungetrunken an diesem Tag, und die Fragen ihrer Besucher wurden immer bohrender: "Hat der Selbstmord Ihres Sohnes etwas mit den Gewaltakten zu tun, zu denen ihn sein eigener Vater gezwungen hatte? Wurde er von bösen Erinnerungen verfolgt?"

Es sind keine alten Freunde aus dem Sudetenland, die der Witwe des SS-Mannes Feix da einen Besuch abstatteten: "Wir sind nicht Deutsche", sagt einer der Männer schließlich, "und schon gar nicht Freunde ihres Mannes. Wir sind nur ein paar Juden, die Ihr Mann nicht erwischt hat."

Jack Eisner war einer dieser Männer, die Leute wie Feix "nicht erwischt" hatten. Er wurde in Polen geboren, hat als junger Mann den Warschauer Ghetto-Aufstand miterlebt und überstanden, ist gefangen genommen worden, hat verschiedenen Lager überlebt und ist im Frühjahr 1945 auf einem der Todesmärsche der Häftlinge des KZ Flossenbürg von amerikanischen Truppen befreit worden. Später ist er in die USA gegangen und dort reich geworden. 1980 hat er ein Buch geschrieben, "The Survivor"; als er am 24. August 2003 in New York starb, hatte er ein zweites beinahe fertig, und jetzt ist es erschienen.

Es ist die Geschichte von Männern, die "nicht erwischt" worden sind, doch außer dem bloßen Leben fast alles verloren haben - ihre Familie, ihre Freunde, ihr Eigentum, ihre Heimat. Es ist die Geschichte der "Happy Boys" einer jüdischen Band im Deutschland der frühen Nachkriegszeit. Vor allem aber ist es Jack Eisners eigene Geschichte, die Geschichte eines unbezwingbaren Widerstandes gegen die Vernichtung und gegen das Vergessen.

"Der Versuch der Nazis, mein Volk auszuradieren" sei schon vielfach behandelt worden, schreibt der Autor in seinem Prolog: "Über das jüdische Leben in Deutschland kurz nach dem Holocaust ist dagegen bis heute wenig bekannt. Es wird also Zeit, auch den Rest der Geschichte zu erzählen." Dieser Rest aber ist - das ist nicht nur eine Ironie, das ist fast schon ein Zynismus der Geschichte - oft schwerer zu fassen als die Topografie und Chronologie des Völkermordes, weil dessen Verwalter und Protokollführer ihre Schreibtische inzwischen geräumt hatten.

Nach ihrer Befreiung waren die Überlebenden zunächst auf sich allein gestellt. "In den ersten Wochen und Monaten nach der Befreiung", so erinnert sich Eisner, erhielten wir Juden keinerlei Unterstützung, weder Wohnraum noch eine geregelte ärztliche Behandlung. Ich selbst litt wie viele Überlebenden der Konzentrationslager fast permanent unter quälenden Zahnschmerzen, seit mir die Nazi-Sadisten durch ihre Prügeleien mehrere Zähne ausgeschlagen und den Kiefer gebrochen hatten." Ohne die Hilfe eines befreundeten jüdischen Arztes, der kurzerhand die Praxis eines Deutschen besetzt hatte, hätte er nicht einmal ein Stück Brot kauen können.

Da sie kein Geld für Lebensmittel hatten, "stahlen wir sie von den Bauern der Umgebung. Kleidung beschafften wir uns auf ähnliche Weise, aus versteckten Warenlagern oder von Privatleuten. Wir hatten schließlich gelernt, wie man anderer Leute Eigentum konfisziert - von den Deutschen."

Im bayerischen Cham konfiszierten die späteren "Happy Boys" ein Haus am Marktplatz Nummer 16, das sie während der nächsten Jahre bewohnen sollten." Anderer Leute Heim zu konfiszieren, sei "nichts, worauf man stolz sein kann", ergänzt der Autor, doch für ihn und für seine Freunde seien alle Deutschen schuldig gewesen.

Man muss sie sich vorstellen diese "Happy Boys" - Avrum und Lutek, Josek, Slamek, Elek, Haim, Henry und wie sie alle hießen - als ein Gruppe jüngerer bis sehr junger Männer, die ein gemeinsames Unglück zugleich verband und trennte, denn es ist ein Unterschied ob man verwaist ist oder ob man die eigenen Kinder nicht hat retten können vorm Tod im Lager: "Er litt sehr unter dem Verlust seiner Frau und seiner Kinder", erinnert sich Eisner an Elek, der mit dreißig Jahren schon zu den Älteren der Band zählte, "und doch behielt er es, so gut es ging, für sich. Er konnte Witze reißen und irgendwelche Anekdoten erzählen, doch sobald das Gespräch zu ernsthaft und persönlich wurde, stand er einfach auf und ging."

Die "Happy Boys" waren eine Art Ersatzfamilie, und ihr Repertoire nahm den Wechsel aus dem alten Europa in die USA vorweg, den die Mitglieder nach und nach vollziehen sollten. Doch bevor die Band ihre erste Tournee durch die Flüchtlingslager antreten konnte, brauchte sie Transportmittel - und natürlich Instrumente.

Aber eine gute Portion List gehört zu jeder Odyssee, und so hat die Karriere der "Happy Boys" mit einer abenteuerlichen Befreiungsaktion in Lodz und der Requirierung von Autos in Deutschland begonnen, um dann abenteuerlich weiterzugehen. Befreit wurden dabei einige Instrumente, die Haim Baigelman vor seiner Deportation noch in einem Hinterhof seiner Heimatstadt vergraben hatte. Requiriert wurden neben einem Sanitätslaster zwei respektable Pkws, und der doppelte Boden des Transporters sorgte für florierende Schwarzmarktgeschäfte - und für knisternde Spannung bei jeder Kontrolle durch die Militärverwaltung.

Jahre später sollten Jack Eisners riskante Grenzübertritte, seine Reisen in amerikanischen Uniformen und seine nur mühsam abwehrbare Zwangsrekrutierung zur polnischen Armee ihre Fortsetzung finden, als er, inzwischen ein erfolgreicher US-Bürger, seine Geschäftskontakte im Ostblock nutzte, um nach Nazis zu fahnden und sich für das Andenken an deren Opfer einzusetzen. Es waren Reisen, die in überfüllten Zügen in entvölkerte Stadtviertel führten, in denen einige wenige Menschen wie durch ein Wunder überlebt haben. So wie die 14-köpfige Familie Glazer, die von einer befreundeten katholischen Familie aus dem Warschauer Ghetto geschmuggelt und jahrelang im Keller ihres Hauses versteckt worden war. Jahrzehnte später, bei einer päpstlichen Audienz für die jüdischen Opfer des Holocaust im April 1994 sollte Einser einem anderen katholischen Landsmann begegnen, mit dem er die Erinnerungen an den Terror aber auch an ein friedlichen Vorkriegspolen teilte - Johannes Paul II.: "Es mag unglaublich klingen, aber ich hatte ihn früher einmal, als er noch ein junger Bischof war, beim gemeinsamen Fußballspielen kennen gelernt. Er war Torwart gewesen und ich Stürmer im gegnerischen Team. Ich hatte sogar ein Tor gegen ihn geschossen."

Als "jungen Bischof" konnte man den 1920 geborenen Karol Wojtyla seit 1958 bezeichnen, seit 1964 war er schon Erzbischof von Krakau. Und man wüsste gern, in welcher Aufstellung er damals angetreten ist - und gegen was für eine Mannschaft, die einen amerikanischen Geschäftmann als Torwart hatte. Man wüsste auch gern mehr über die anderen "Happy Boys", über deren vollständige Besetzung und Namen und über deren Lebensdaten.

Doch Jack Eisner starb, bevor solche Fragen mit ihm geklärt werden konnten, und er muss ein ausgesprochen robuster Charakter gewesen sein - auch, wenn es ums Schreiben ging. "Sich der Intensität seiner Rede zu entziehen war unmöglich", heißt es in der nicht namentlich gezeichneten editorischen Notiz des Buchs, und das klingt wie ein Stoßseufzer. Es kann nicht leicht gewesen sein, Eisners intensive Rede mit Nachfragen und Bitten um Präzisierungen zu unterbrechen, doch es wäre notwendig gewesen.

So leitet Eisner die eingangs beschriebene Szene mit den Worten ein: "Bei meinen regelmäßigen Zusammentreffen mit anderen Überlebenden aus Flossenbürg fiel immer wieder der Name von SS-Sturmbannführer Reinhart Feix." Der Archivar der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg jedoch kennt keinen Sturmbannführer Reinhart Feix, wohl aber den Unter- beziehungsweise Oberscharführer Reinhold Feix, der seine Untaten aber laut "Enzyklopädie des Holocaust" als Leiter des polnischen Lagers Budzyn verübte, wohin im Mai 1943 800 jüdische Überlebende des Warschauer Ghettoaufstandes deportiert worden waren. Und auf einer polnischen Internet-Seite ist ein unscharfes Foto zu sehen, das Feix zusammen mit einem anderen Uniformträger zeigt. Davor steht ein kleiner Junge, der etwas trägt, was wie eine SS-Uniform für Kinder aussieht. Ob er eine Pistole in der Hand hat, ist nicht zu erkennen...

Eisners Erinnerung, vielleicht auch seine Erzählweise scheint hier verschiedene Stationen seiner Odyssee durch die Arbeits- und Vernichtungslager zusammengezogen haben. Dass er dabei einen Reinhold in einen martialischer klingenden Reinhart umgetauft und ihn vom Unterscharführer zum Sturmbannführer befördert haben könnte, ist bei einer Darstellung, die weitgehend aus persönlicher Erinnerung und aus Erzählungen Dritter schöpft, eigentlich nicht verwunderlich. Doch in einem Buch über eine so komplexe und sensible Thematik wären einige erläuternde Anmerkungen notwendig. Dies gilt auch für den Verfasser selbst, dessen ursprünglicher Name in amerikanischen Nachrufen mit "Jacek Zlatka" angegeben wird. "Zlatka" aber wird im Buch Eisners Mutter genannt, deren Mädchennamen der von seinen Freunden "Jacek" genannte Autor wieder mit "Sztejnmann" angibt.

Laut Klappentext wurde Jack Eisner im Jahre 1926 geboren, doch die Häftlingsdatenbank in Flossenbürg kennt keinen Eisner oder auch "Ajzner" mit diesem Geburtsjahr, fürs Geburtsjahr 1925 immerhin einen Juszek Ajzon. Doch Jack Eisner beschreibt in seinem Buch auch, dass er seine Häftlingsnummer abgerissen und niemals weggegeben habe. Sie laute P-14461, und wenige Sekunden später ist ihr Träger gefunden: "Eiserner Isak", geboren am 15.11.24 geben die Original-Nummernbücher des Konzentrationslagers Flossenbürg preis.

Jack Eisner kritisiert wiederholt die restriktiven Einwanderungsbestimmungen der USA gegenüber jüdischen Holocaust-Überlebenden. Hat er sich zwei Jahre jünger gemacht, um sein Glück in der Neuen Welt zu finden? Hat er sich den Nazis gegenüber älter gemacht? In der vorliegenden Ausgabe lässt "Die Happy Boys" solche Fragen offen, von denen man einige sicherlich hätte klären und andere zumindest hätte aufwerfen sollen, um den Prozess des Erinnerns, den Jack Eisner damit gerade auch in Deutschland fördern wollte, nicht ins Leere laufen zu lassen.

 

buecher.judentum.de

Die Happy Boys:
Eine jüdische Band in Deutschland 1945 bis 1949

"Wie soll die Band überhaupt heißen?" fragte Elek. "Die Überlebenden?" schlug Yosl vor. "Das klingt zu düster", sagte Szlamek. Ich erinnerte mich, wie Captain Russell im Scherz zu uns gesagt hatte: "Wenn es nicht alles so traurig wäre, müßte man euch wirklich die 'Happy Boys' nennen."

An einem Sommermorgen im August 1945 machen sich drei junge Männer vom bayerischen Cham aus auf eine waghalsige Reise. Über die streng kontrollierten Sektoren- und Ländergrenzen gelangen der 19jährige Jacek Eisner und seine beiden Gefährten bis nach Polen, um dort einen Schatz zu heben: vor dem Krieg vergrabenen Instrumente. Zurück in Cham, geht alles sehr schnell. Die "Happy Boys" proben, beschaffen sich die nötigen Papiere und Genehmigungen der amerikanischen Besatzer, organisieren einen Band-Bus und tingeln bald mit einem Programm aus jiddischen Stücken, Big-Band-Nummern und Kabarett-Einlagen über Land.

Das Publikum in den Auffanglagern ist begeistert, denn ihre Musik vermittelt Trost und Lebensfreude. Die "Happy Boys" durchkämmen die Camps, finden Angehörige und Freunde. Und noch etwas treibt die junge Gruppe um: Sie suchen ihre Peiniger, um Vergeltung zu üben, und sie brauchen Geld für ihren gemeinsamen Traum - ein neues, freies Leben in Amerika.

Jack Eisner, geb. 1926 als Kind jüdischer Eltern in Polen, war einer der Gründer der international agierenden "Warsaw Ghetto Resistance Organization" und begründete die "Holocaust Survivors Memorial Foundation". Sein autobiographischer Bericht über die "Happy Boys" erzählt die Geschichte seines Überlebens und von den Nachkriegsjahren im besetzen Deutschland. Wer das Buch liest, wird es kaum glauben können, so erstaunlich ist nicht nur das Überleben der "Happy Boys" Bandmitglieder, sondern auch ihr Unternehmen, eine Band auf die Beine zu stellen und  durch die DP Camps der Gegend zu touren.

Auch wenn die erzählerische Struktur und die sprachliche Darstellung des Buches eher enttäuschend sind, Jack Eisners Geschichte ist lesenswert.

hagalil.com 18-06-04

 

DasParlament

Nr. 12-13 / 15.03.2004

Ursula Homann
KZ-Überlebende gründen eine Musik-Band und finden in Amerika eine neue Heimat

Trotz allem haben sie noch großes Glück gehabt

Jack Eisner

Die Happy Boys.

Eine Jüdische Band in Deutschland 1945 bis 1949 auf der Suche nach Vergeltung.

Aus dem Amerikanischen von Steve Klimchak.

Aufbau-Verlag, Berlin 2004;

139 S., 21,90 Euro

Sechs qualvolle Jahre musste der polnische Jude Jack Eisner in deutschen Konzentrationslagern zubringen, zuletzt in Flossenbürg. Im Frühjahr 1945 wurden er und seine Freunde - allesamt junge Juden aus Polen - von amerikanischen Soldaten befreit. "Von einem Tag auf den andern", erzählt Jack Eisner, "waren wir Überlebende frei und auf uns selbst gestellt in einer Welt, die uns meist feindlich gesonnen war". Eine Weile irrte die Gruppe umher, verarmt und heimatlos, bis sie im Juli 1945 in der von amerikanischen Truppen besetzten bayerischen Kleinstadt Cham eine vorläufige Bleibe fand.

Noch hing der Schatten der Vergangenheit über ihr. Doch sie waren jung, der Autor jener Zeit noch keine 20 Jahre alt, und voller Tatendrang. Zunächst wollten sie nur eins: Rache üben und Tätern und Mitläufern heimzahlen, was Deutsche ihnen angetan hatten. Sie jagten Nazis und Kriegsverbrecher auf eigene Faust und sagten vor Gericht gegen sie aus. Manche wären dabei fast selbst zu Mördern geworden. Nebenbei schmuggelten sie Juden und Flüchtlinge über die Ostgrenzen und versuchten, sich durch Schwarzmarktgeschäfte Geld zu beschaffen. Irgendwann wollte jeder von ihnen "dieses unselige Land" verlassen.

Nicht nur ihr gemeinsames jüdisches Schicksal verband sie miteinander, auch ihre Liebe zur Musik. Einige von ihnen hatten im KZ in der Lagerkapelle gespielt. Der Autor selbst war vor dem Krieg Chorknabe und Stipendiat an der Warschauer Musikhochschule gewesen. Man träumte davon, eine Musikband zu gründen und mit ihr durchs Land zu tingeln, um für Überlebende des Naziterrors zu spielen.

Einer von ihnen, Haim Baigelman, Abkömmling einer angesehenen Lodzer Musikerfamilie, hatte in Polen vor der Deportation seine Instrumente vergraben. Kurzerhand entschloss sich Jack Eisner, zusammen mit zwei seiner Gefährten dorthin zu reisen, um die vergrabenen Instrumente zu holen. Das war indes leichter gesagt als getan. Denn die Zeiten waren chaotisch und unsicher, und so erwies sich ihre Reise alsbald als ein waghalsiges und abenteuerliches Unterfangen. Nach allerlei Zwischenfällen kamen sie schließlich heil wieder zurück. Der Gründung der Band "Happy Boys" stand nun nichts mehr im Wege. Eisner erzählt detailliert und plastisch von der Gründung der Band, von dem, was vor dem ersten Konzert alles bedacht und besorgt, erledigt und angeschafft werden musste: Anzüge, ein Touren-Bus, Notenständer und weitere Instrumente.

Die Premiere war ein großer Erfolg. Die Band spielte fortan in amerikanischen Militärclubs und Flüchtlingslagern an verschiedenen Orten - in Feldafing, Fernwald, Landsberg und auch in Bergen-Belsen. Überall ernteten sie begeisterten Applaus und konnten sich vor Anfragen kaum retten.

Der Autor berichtet auch davon, dass am Jom-Kippur-Tag 1945 nur wenige den Weg zur Synagoge fanden. Die meisten der überlebenden Juden, vor allem die jungen, hatten sich enttäuscht von Gott abgewandt, da er sein auserwähltes Volk, ihrer Meinung nach, während der schlimmen Zeit im Stich gelassen hatte. Aber es geschahen auch Zeichen und Wunder. Jack Eisner fand während einer Reise nach Prag seine tot geglaubte Mutter wieder - auf dem voll besetzten Bahnhof von Zebrzydowice.

Schließlich war die Zeit für die lang geplante Auswanderung gekommen. Alle Happy Boys wanderten - einer nach dem anderen - bis Ende 1949 in die USA aus und ließen sich an verschiedenen, teils sehr weit voneinander entfernten Orten nieder. Der letzte war der Autor mit seiner jungen Frau Lusia. Doch 1965, 20 Jahre nach der Gründung der Band "Happy Boys", traf man sich in New York wieder und feierte das Jubiläum mit einem Open-Air-Konzert. Wie einst wurde die Gruppe euphorisch bejubelt.

Im letzten Teil des Buches geht Eisner auf sein Leben in Amerika ein, wo er "mit der Erfahrung und Ausdauer eines Überlebenden des Holocaust zu Wohlstand gelangte". Er schildert, wie er sich den Alltag zurückerobert hat, indem er "die Vergangenheit akzeptierte und sie dem Vergessen entriss". Das half, in den Alltag zurückzufinden.

In seinen letzten Jahrzehnten - Jack Eisner starb am 25.August 2003 im Alter von 77 Jahren - hielt er Vorträge vor jungen Leuten, engagierte sich auf mannigfaltige Weise in Israel und in Warschau und setzte sich mit aller Energie für die Errichtung eines Denkmals für die ungezählten Kinder und Jugendlichen ein, die im Warschauer Ghetto ums Leben gekommen waren. Auch finanzierte er einen Gedenkstein zu Ehren von Janusz Korczak, dem berühmten Arzt, der mit zweihundert Waisenkindern aus dem Warschauer-Ghetto in Treblinka ermordet worden war.

Beide Denkmäler wurden 1993 anlässlich des 50jährigen Jubiläums des Ghetto-Aufstandes in Anwesenheit des amerikanischen Vize-Präsidenten Al Gore und des israelischen Premierministers Izhak Rabin enthüllt. Ihren Höhepunkt fand Eisners Erinnerungsarbeit im April 1994 durch eine Audienz beim Papst. Damals ehrte der Vatikan erstmalig die Opfer des Holocaust. Rückblickend erkennt Jack Eisner dankbar, dass er trotz allem noch großes Glück gehabt habe.

Das Buch ist flott und so spannend und lebendig erzählt, dass sprachliche Unebenheiten kaum ins Gewicht fallen. Ursula Homann

Ursula Homann arbeitet als freie Journalistin in Arnsberg/Sauerland.

 

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Jack Eisner: Die Happy Boys. Eine jüdische Band in Deutschland 1945 bis 1949.
Übersetzt aus dem Englischen von Steve Klimchak.
Aufbau Verlag, Berlin 2004.
218 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN 3351025718

Eine ungewöhnliche und abenteuerliche Geschichte des Neuanfangs

 

Jack Eisner erzählt in "Die Happy Boys” die Geschichte einer polnisch-jüdischen Band in Deutschland 1945 bis 1949

Von H.- Georg Lützenkirchen

Die unmittelbare Zeit nach der Befreiung von der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft im Frühjahr 1945 ist bis heute vergleichsweise wenig durch Zeitzeugenerinnerungen erhellt. Insbesondere gilt dies für jene, die unmittelbar nach dem Ende des Terrorregimes aus den Konzentrationslagern in Deutschland befreit wurden. Sie waren, sofern sie nicht jetzt noch den unmenschlichen Haftbedingungen erlagen, plötzlich in einem feindlichen Land sich selbst überlassen. Es ist jene "Atempause" nach der unvorstellbaren Erschöpfung, bevor die neue Menschwerdung beginnt. Doch nichts ist mehr wie es vorher war. Denn da ist, schrieb Primo Levi in seinem Buch "Die Atempause", "jene Scham, die die Deutschen nicht kannten, die der Gerechte empfindet vor einer Schuld, die ein anderer auf sich lädt und die ihn quält, weil sie existiert, weil sie unwiderruflich in die Welt der existenten Dinge eingebracht ist". Diese Erfahrung, das "ungeheuerliche Privileg unserer Generation und meines Volkes", wirkt auf immer weiter: "Sie ist eine unerschöpfliche Quelle des Bösen: sie zerbricht Körper und Seele der Betroffenen, löscht sie aus und erniedrigt sie [...] schwelt als Hass in den Überlebenden fort und wuchert weiter auf tausend Arten, gegen den Willen aller, als Rachedurst, als moralisches Nachgeben, als Verleugnung, als Müdigkeit und als Verzicht."

Von all dem findet sich auch etwas im Leben des Jack Eisner, der als polnischer Jude die Konzentrationslager der Nazis überlebte und der schließlich auf dem von den SS-Wachmannschaften verordneten Todesmarsch von Flossenbürg nach Dachau von amerikanischen Truppen befreit wurde: "Von einem Tag auf den anderen waren wir frei und auf uns selbst gestellt in einer Welt, die uns meist feindlich gesonnen war." Diese Welt war Cham, eine bayrische Kleinstadt. Hier fand sich eine Gruppe von jungen polnische Juden in Freiheit wieder.

Zunächst sitzt der Rachegedanke tief. Sie errichten Straßensperren und suchen nach untergetauchten Nazis, die sie zumeist den Amerikanern überstellen. Als ihnen schließlich einer der Peiniger aus Flossenbürg in die Fänge gerät, ist die Versuchung groß: "Mein Gott, wie sehr wollte ich Rache nehmen. Süße Rache!" Doch Gleiches mit Gleichem vergelten? Eisner löst den Konflikt: "Ich wußte, daß ich niemals würde vergessen können. Doch jetzt war es Zeit, an die Zukunft zu denken."

Die Männer waren jung und lebensgierig. Sie requirierten unter wohlwollendem Schutz der amerikanischen Besatzer ein Haus am Platz und lebten dort als eine Art Wohngemeinschaft. Alle hatten sie mit Musik zu tun und so kam die Idee auf, eine Band zu gründen. Ohne Instrumente? Doch einer aus der Gruppe, Haim Baigelmann, der aus einer angesehen Musikerfamilie in Lodz stammte, hatte vor seiner Deportation noch mehrere Musikinstrumente vergraben können. Wenn man die schon mal hätte! So fassten sie den irrwitzigen Plan, nach Polen zu reisen und die Instrumente zu bergen.

Es beginnt eine nur abenteuerlich zu nennende Reise unter den chaotischen Umständen der ersten Nachkriegsmonate. Doch das Unternehmen gelingt, und die jungen Polen gründen die Band "Die Happy Boys". Diese spielt vor allem vor Flüchtlingen und den sogenannten Displaced Persons, zumeist Juden, die nach ihrer Entlassung heimat- und orientierungslos sich noch in Deutschland aufhalten. In von den Amerikanern eingerichteten Auffanglagern, wie das im bayrischen Landsberg, warten viele von ihnen auf ihre Ausreise nach Amerika oder Palästina oder planen die ungewisse Rückkehr in ihre zerstörte Heimat. Für diese Menschen bietet das aus amerikanischen Jazz-Standards, jiddischen Liedern und Kabaretteinlagen zusammengesetzte Programm der "Happy Boys" ebenso Unterhaltung wie es Hoffnung vermittelt. Denn die, die da spielen, das sind Leidensgenossen. Sie verkörpern den möglichen Neuanfang. Die "Happy Boys" sind ,erfolgreich'. Zudem schaffen die Jungs mit cleveren Schwarzmarktgeschäften, bei denen die Band eine ideale Tarnung ist, zusätzlichen Wohlstand heran - und damit verbessen sich für alle die Chancen, endlich die ersehnte Ausreise nach Amerika zu wagen. Nach und nach gelingt das schließlich allen Bandmitgliedern und als einer der letzen verlässt schließlich auch Jack Eisner 1949 Deutschland. Als erfolgreicher Geschäftsmann setzt er sich seit den 60er Jahren intensiv für eine aktive "Erinnerungsarbeit" ein. Er gründet die "Warzaw Ghetto Resistance Organization" und führt Holocaust-Überlebende zusammen. In den 80er Jahren erscheint in Amerika sein Erinnerungsbuch "The Survivor". Die Fortsetzung dieser Lebensgeschichte, eingebettet in die Geschichte der "Happy Boys" wollte Eisner ausdrücklich bei einem deutschen Verlag erscheinen lassen. Im August 2003, kurz nach Fertigstellung des Manuskripts, stirbt Eisner 77jährig in New York.

Eisner schreibt kurz und bündig. Er ist ein zupackender Geschichtenerzähler, tiefgreifende Reflexionen liegen ihm nicht. Diese Schreibweise ist der ,fantastischen' Geschichte, die er erzählen möchte, durchaus angemessen. Doch zuweilen gerät er ,außer Atem'. An manchen Stellen wirkt die Geschichte wie zu hastig notiert. Manches Erzählte wirkt unzusammenhängend und man würde gerne wissen, wie die genauen Umstände gewesen sind. In einer editorischen Notiz weist der Verlag darauf hin, dass durch den plötzlichen Tod Eisners solche Fragen nicht mehr geklärt werden konnten.

Dennoch: die Erfolgsgeschichte der "Happy Boys" ist schon deshalb lesenswert, weil sie einen ebenso ungewöhnlichen wie abenteuerlichen Neuanfang in der unmittelbaren Nachkriegszeit schildert.

 

JACK EISNER: Die Happy Boys

Die Stadt Cham, friedlich liegt sie zwischen den Hügeln der Oberpfalz. Wir suchen nach Spuren der unerhörten Geschichte, die sich dort vor knapp 60 Jahren zutrug. Plötzlich nämlich erklang in dem Städtchen der Swing. Das war im Herbst 1945. Gespielt von einer jüdischen Kapelle mit dem irritierend optimistischen Namen "Happy Boys". Die neun jungen Burschen hatten soeben die Konzentrationslager überlebt und gründeten von heut auf morgen die Band. Erst jetzt hat der Pole Jacek Eisner, der sich nach seiner Emigration nach Amerika Jack nannte, ihre unglaubliche Geschichte notiert. Das Haus, in dem die Happy Boys lebten und ihre Versionen von Glen Millers Swing probten, wurde abgerissen, aber die Erinnerung lebt.

Karl Dorn: "Wir standen witterungsmäßig vorn oder im Laden. Und wenn die Uhr gegen zwei Uhr rückte und man konnte fast die Uhr stellen, punkt zwei Uhr ging es also los, erst in einzelnen Variationen von den einzelnen Musikern, die Oktaven rauf und runter gespielt. Wenn wir dann sagten, jetzt dürften sie allmählich im Chor anfangen zu spielen und allmählich kam dann Glen Miller zutage. Und dann war das für uns eben die Musik gewesen, etwas Neues, von der bissl Marschmusik, die man bis dahin hatte, etwas weg. Und dann kam es also schon vor, daß man im Takt mitgewippt hat. Meine Frau und ich, wir waren noch jung verheiratet und ab und zu haben wir, wir hatten ja Zeit, ein kleines Tänzchen da drin gewagt. Man war ja noch jung und froh, dem Krieg entronnen zu sein."

Die jungen Juden aus Polen hatten alles verloren, standen vor dem Nichts. Nur das bloße Leben war ihnen geblieben und die Gabe zu musizieren. Kurz vor Kriegsende waren sie aus dem Konzentrationslager Flossenbürg auf einen Todesmarsch nach Dachau geschickt worden. Die Amerikaner retteten sie. Der Horror des Erlebten wich dem Willen weiterzuleben, fern der Heimat, ohne Familie und mit der Katastrofe noch immer im Kopf. Die Stunde Null junger Überlebender, die zufällig in Cham festsitzen.

Melanie und Markus Weißglas erinnern sich. Melanie Weißglas: "Manchmal habe ich gemeint, dass die Klarinette weint. Habe ich immer gesagt. Die Klarinette weint. Es war immer so Musik, ich weiß nicht, wie ich es sagen muß, die haben da von Herzen gespielt." Markus Weißglas wirft ein: "Melancholisch." Melanie weiter: "Von Herzen haben die gespielt. Die haben sich da alles von der Seele gespielt, praktisch."

Vier Jahre bleiben die Happy Boys in Cham, ehe sie in die USA auswandern. Sie geben erfolgreich Konzerte. Musik zum Tanzen, Überleben, Vergessen. Eisner erlebt diese Zeit als abenteuerliche Reise. In jedem Augenblick entsteht die Zukunft aufs Neue. Heute verwischen die Spuren der "Happy Boys". Ein Foto, ein Bild im Hintergrund. Wir finden das Bild auf einem Dachboden. Das Café Krone, in dem es hing, ist längst verschwunden. Das Ehepaar Weißglas kannte die Band genau, er, selbst Jude, überlebte mit ihnen den Todesmarsch. "Die Happy Boys" waren ein Teil ihrer Jugend.

Auf einer Reise findet Jack Eisner seine Mutter wieder. Ein Zufall, auf dem Bahnhof von Zebrzydowice. Es ist die berührendste Passage in Eisners Buch.

Auch sonst sind die abenteuerlichen Touren der Happy Boys gut für ein Drehbuch. Oft ist die Erzählung Eisners schier unvorstellbar, aber gerade das macht sie so spannend. Aufregend sind die Schilderungen der Fahrten gen Osten. Trotz des sich senkenden eisernen Vorhangs wagten die Happy Boys diese Reisen. Sie besorgten Instrumente aus der alten Heimat. Der Swing war schließlich der Sound ihrer Hoffnung.

Für das Ehepaar Weißglas entbrennt bei einem Konzert der Happy Boys sogar die Liebe. Fotos und Erinnerungen sind die Spuren, die wir finden. 1949 wandern die Letzten der Happy Boys nach Amerika aus. Ihre bewegende Geschichte, ohne das Buch von Jack Eisner wäre sie wohl immer ein Geheimnis von Cham geblieben.

Antje Harries