6-7-2005

 

 "Scherwitz. Der jüdische SS-Offizier" von Anita Kugler

 

taz Magazin Nr. 7571 vom 22.1.2005, 181 Zeilen, SUSANNE HEIM

Schillernder als Schindler

Anita Kuglers Buch über das Leben des rätselhaften Fritz Scherwitz liest sich spannend
wie ein Krimi. Gleichzeitig ist es eine ebenso faktenreiche wie kundige historische Studie

VON SUSANNE HEIM

Anita Kugler: "Scherwitz. Der jüdische SS-Offizier". Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004, 768 Seiten, 29,90 Euro

Wer war Fritz Scherwitz? Hieß er überhaupt so? Oder Eleke Scherwitz oder gar Eleke Sirewitz? Nichts ist eindeutig an der Biografie dieses Mannes, weder Name noch Geburtsort oder -datum. War er promovierter Ökonom oder Ingenieur oder beinahe ein Analphabet? War er SS-Offizier, Gestapo-Agent oder Judenretter? War er selbst Jude, Freikorpsmann, Sozialist?

Anita Kugler ist Scherwitz Lebensgeschichte bis in alle Details nachgegangen und hat versucht, die Widersprüche so weit wie möglich aufzuklären. Die knapp 650 Seiten, die sie mit ihren Ergebnissen gefüllt hat, lesen sich über weite Strecken spannend wie ein Krimi - und werden doch den Anforderungen an eine historische Untersuchung gerecht. Schließlich hat die Autorin mit beachtlichem Erfolg das Gestrüpp aus Gerüchten, Lügen, Anschuldigungen, Hochstapelei oder Teilwahrheiten zumindest streckenweise gelichtet. Und am Ende zeigt sich, dass die Eingangsfrage gar nicht so wichtig ist, wie sie zunächst scheint.

Gesichert scheint immerhin, dass Scherwitz, geboren in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts, als Kind oder Jugendlicher von einem Freikorps adoptiert wurde, dass er der sozialdemokratischen Regierung gegenüber loyal war; dass er später in Berlin Frau und Tochter hatte und beide bald im Stich ließ. 1941 gelangte er ins deutsch besetzte Riga und wurde dort Leiter eines KZ-Außenlagers, in dem jüdische Handwerker für die SS maßgeschneiderte Uniformen oder Stiefel anfertigten, Luxusgüter produzierten oder Wohnungen umbauten.

Als die deutschen Besatzer Ende 1941 die meisten Ghettobewohner ermordeten, gelang es Scherwitz, "seine" jüdischen HandwerkerInnen und einige Angehörige zu schützen, indem er sie dauerhaft in den Werkstätten unterbrachte. Nach dem Umzug in die alte Textilfabrik Lenta außerhalb der Stadt, die als Nebenlager des KZ Kaiserwald geführt wurde, wuchs die Zahl seiner Untergebenen auf mehrere hundert. Verglichen mit anderen KZ-Häftlingen ging es ihnen gut. Es gab keine Schikanen, sie hatten genügend zu essen und wurden von Scherwitz sehr höflich behandelt.

Viele seiner Schützlinge berichten von wahren Heldentaten, die Scherwitz für sie beging. Immer wieder sei es ihm gelungen, zu verhindern, dass bei Razzien oder Kontrollen jemand verhaftet wurde. Und dies, obwohl Scherwitz selbst in einer heiklen Lage war, galt er doch dem Sicherheitsdienst der SS als unzuverlässig und "judenfreundlich". Ihm wurde ein SS-Unterführer beigeordnet, der aufpassen sollte, dass es den Juden auf der Lenta nicht zu gut ging; sein oberster Chef war der tausendfache Judenmörder Rudolf Lange.

Neben allen Lobeshymnen gibt es aber auch Beschuldigungen gegen Scherwitz. Manchmal stammen sie von denselben Leuten, die ihn bei anderer Gelegenheit als ihren Schutzengel bezeichneten. Sie werfen ihm Bestechlichkeit vor. Auch soll er einen oder mehrere Häftlinge nach einem gescheiterten Fluchtversuch hingerichtet haben. Die belastenden Aussagen sind widersprüchlich, mitunter fadenscheinig.

Durchaus plausibel scheint allerdings, dass Scherwitz nicht immer alle ihm unterstellten Häftlinge schützen konnte. Als die KZ-Verwaltung ihn aufforderte, hunderte Menschen in den sicheren Tod zu schicken, kommandierte Scherwitz sie ab. Ungeklärt ist jedoch, ob er wirklich selbst selektierte oder anhand von vorgefertigten Listen vorging.

Nach dem Krieg lässt sich Scherwitz in der bayerischen Provinz nieder. In einem Milieu von mehr oder minder verkappten Antisemiten, ehemaligen NSDAP-Mitgliedern und Mitläufern präsentiert sich Scherwitz als Jude und KZ- Überlebender. Man glaubt ihm, nicht zuletzt aus eigenem schlechtem Gewissen und weil man sich von guten Beziehungen zu einem Juden Vorteile verspricht, zumal wenn dieser auch noch rasch zum Treuhänder für beschlagnahmtes Nazi-Vermögen avanciert. Scherwitz lebt auf großem Fuß, bereichert sich auch an Treuhandvermögen. Er nutzt seinen Einfluss zugunsten von Flüchtlingen und Überlebenden, vor allem aber, um die örtlichen Altnazis in Bedrängnis zu bringen. Folglich wächst die Schar seiner Feinde und Neider rasch. Doch zum Verhängnis werden ihm ausgerechnet die ehemaligen Schützlinge. Dass ihr Ex-Aufseher, der auf der Lenta SS-Uniform trug, sich nun als überlebender Jude ausgibt, ist mehr, als sie ertragen können.

Im März 1949 wird Scherwitz zu sechs Jahren Haft verurteilt. Im Prozess gegen ihn formiert sich eine unheilige Allianz aus Altnazis und Überlebenden. Beide wollen sich rächen, die einen für die als ungerecht empfundene Entnazifizierung, die anderen für den Tod ihrer Angehörigen und ihr eigenes Verfolgtenschicksal. Dass er Jude sei, ist zwar letztlich nicht erwiesen, wird ihm aber als strafverschärfend ausgelegt: Er habe, so heißt es in der Urteilsbegründung in Bezug auf die vermeintliche Hinrichtung, besonders verwerflich gehandelt, indem er "Rassegenossen" ermordet habe.

Scherwitz hat um die Wiederaufnahme des Verfahrens und um vorzeitige Haftentlassung gekämpft. Doch bis auf sechs Monate muss er seine Strafe absitzen - und damit mehr als so mancher vielfache Mörder. Anfang der 50er-Jahre ist eben längst der Kalte Krieg ausgebrochen und mit ihm die Milde gegenüber den hochkarätigen NS-Tätern. Umso unerbittlicher trifft die Härte des Gesetzes Scherwitz, der die gängige Täterausrede vom Befehlsnotstand Lügen straft. Zudem zieht er als vermeintlicher Jude in SS-Uniform die antisemitischen Vorurteile ebenso auf sich wie die Rache der Überlebenden.

Scherwitz verlässt das Gefängnis als gebrochener Mann. Den Rest seines Lebens, es sind noch acht Jahre, bringt er mit Rehabilitierungsversuchen zu und damit, seine Ausweisung zu verhindern. Denn nach einer seiner diversen Biografien ist er als gebürtiger Litauer staatenlos - und damit nach seiner Haftstrafe ein im Nachkriegsdeutschland unerwünschter Ausländer.

Doch die Aufklärung von Scherwitz verworrener Biografie ist nur ein Verdienst Anita Kuglers. Lesenswert ist das Buch vor allem, weil es ihr gelungen ist, die verschiedenen Milieus sensibel und akribisch zu skizzieren, in denen jemand wie Scherwitz reüssieren konnte - und letztlich abstürzte. Er war ein Mann, so einer der Zeitzeugen, gegen den Schindler ein Waisenknabe gewesen sei.

 

 

Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.01.2005, Nr. 21 / Seite 7
Dünner als Seidenpapier

Die "Spur" eines jüdischen SS-Untersturmführers

HANS-JÜRGEN DÖSCHER

Anita Kugler: Scherwitz. Der jüdische SS-Offizier. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004. 758 Seiten, 29,90 [Euro].

Laut Verlagsankündigung ist Anita Kugler einer "ganz und gar unglaublichen Biographie auf die Spur gekommen". Das Schicksal des "jüdischen Offiziers" Scherwitz sei einmalig, weil sich in seinem Leben die Katastrophen und Absurditäten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verdichteten. Die Biographie sei "wissenschaftlich genau, dabei spannend wie ein Krimi und verstörend von der ersten bis zur letzten Seite". Wird das Buch diesen vielfältigen Ansprüchen gerecht? Schafft es neues Wissen? Die Faktenlage zur Biographie der Hauptperson, die sich abwechselnd Eleke oder Elias Sirewitz, später auch Fritz Scherwitz, manchmal mit, manchmal ohne Doktortitel nannte, war für die Autorin "dünner als chinesisches Seidenpapier". Wann, wo und von welcher Mutter der vermeintlich "jüdische SS-Offizier" geboren wurde, konnte sie aus Dokumenten nicht belegen. Nach eigenen Angaben sei er 1903 als Sohn eines Tischlermeisters in Ostpreußen zur Welt gekommen. In den Wirren des Ersten Weltkriegs habe er nicht nur seine Eltern, sondern auch alle persönlichen Urkunden verloren. Im November 1933 trat Fritz Scherwitz als Mitglied Nr. 241935 in die SS ein.

Wenn man seinem Lebenslauf folgen kann, den er 1935 zur "Erlangung der Verlobungsgenehmigung" einreichte, will er 1920 in einem Freikorps beim Grenzschutz in Ostpreußen gedient und dann als Werkzeugmacher gearbeitet haben. Außerdem gab er an, katholischer Konfession zu sein. Da Scherwitz keinen Ahnennachweis vorlegen konnte, das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS die eingereichten Unterlagen als "ungenügend" bezeichnete und deshalb umfängliche Nachforschungen zu seiner Herkunft anstellte, verzögerte sich die Bearbeitung seines Heiratsgesuches um fast drei Jahre. Schließlich wurde die Eheschließung 1938 genehmigt, aber nur "auf eigene Verantwortung", weil eine "erbgesundheitliche Beurteilung" gemäß Heiratsbefehl des Reichsführers SS nicht möglich gewesen sei. Ziel des Heiratsbefehls war die Bildung einer "erbgesundheitlich wertvollen Sippe deutscher nordisch-bestimmter Art". Bei Kriegsbeginn 1939 soll Scherwitz zunächst einem Polizeireservebataillon im besetzten Polen zugeteilt worden sein. Genauere Angaben fehlen ebenso wie zu den folgenden Stationen seiner Polizeikarriere. Relativ gesichert scheint nur zu sein, daß er im September 1941 nach Riga (Lettland) versetzt wurde und dort das KZ-Außenlager "Lenta" leitete, seit 1943 als Fachführer im Rang eines SS-Untersturmführers (entspricht dem Rang eines Leutnants). Einige der im Lager beschäftigten jüdischen Handwerker nannten ihn später "Beschützer und Lebensretter", andere bezichtigten ihn der Korruption und des Mordes.

Nach 1945 behauptete Scherwitz, in Wahrheit Jude und Antifaschist zu sein, der nur zum eigenen Schutz der SS beigetreten sei. Unter amerikanischer Besatzung begann er eine neue Karriere, die ihn vom "Verfolgten" des NS-Regimes zum Treuhänder für jüdisches Eigentum und Regionalleiter für die Betreuung der Opfer des Nationalsozialismus in Oberschwaben führte - bis ihn seine SS-Vergangenheit einholte. Das Schwurgericht München verurteilte ihn 1950 wegen Totschlags dreier Häftlinge zu sechs Jahren Zuchthaus. Seine "jüdische" Herkunft wirkte strafverschärfend, weil das Gericht die "Tötung eigener Rassegenossen" als "besonders verwerfliche Tat" qualifizierte.

Fragwürdig bleibt vor allem der Titel des Buches: Trotz intensiver Archivstudien und zahlreicher Zeugenbefragungen ist es der Autorin nicht gelungen, die tatsächliche Herkunft ihres "Helden" nachzuweisen. Im Epilog ihrer Biographie kommt sie zu dem Schluß, daß die von Scherwitz nach 1945 beanspruchte jüdische Abstammung "bis heute ungewiß" sei. Nicht minder fragwürdig erscheint der Terminus "SS-Offizier" im Titel. Er geht auf bürokratische Usancen der amerikanischen Anklagevertreter bei den Nürnberger Prozessen zurück, die die Personalunterlagen der SS-Führer unter dem Kürzel SSO (= SS-Officer) im Berlin Document Center rubriziert hatten. Vor 1945 ist der Begriff "SS-Offizier" in der Nomenklatur des SS-Personalhauptamtes nicht anzutreffen. Die von Heinrich Himmler, dem Reichsführer SS, ideologisch gewollten und auch im Sinne Hitlers politisch durchgesetzten Unterschiede zwischen SS-Führern und Offizieren der Wehrmacht (hinsichtlich Rekrutierung, Ausbildung und Funktion) werden von der Autorin vernachlässigt. Die Bezeichnung des Lagerführers Scherwitz als "SS-Offizier" ist auch deshalb irrig, weil nicht wenige SS-Führer sich nach dem Zweiten Weltkrieg als "Offiziere" ausgaben, um dann mit Hilfe der Rechtsbestimmungen zu Artikel 131 Grundgesetz Versorgungsansprüche zu begründen. So spannend Anita Kugler die singuläre Lebensgeschichte des Fritz Scherwitz alias Eleke Sirewitz auch darstellt, ihr Buch vermittelt nur wenig gesichertes Wissen.

 

 
     

 

Date: February 12 2005

Revealed: the Jew who ran a concentration camp


By Allan Hall
Age Correspondent
Berlin

German author Anita Kugler believes Fritz Scherwitz joined the SS in an effort to save his fellow Jews.

The incredible story of a Jew who joined the SS and ran a concentration camp has been published in Germany.

Baltic German Fritz Scherwitz donned the uniform of his people's persecutors and was in charge of slave labourers at a minor concentration camp near Riga in Latvia. But although he was sentenced as a war criminal, the book Scherwitz: The Jewish SS Officer shows his history is more complex than simple good and evil.

Elements of his life read like that of Oskar Schindler, the German industrialist who found something decent within himself during World War II that led him to save his Jewish workers from death in the gas chambers. Author Anita Kugler hopes Scherwitz's life will be seen in a new light through her work.

The former Berlin newspaper journalist stumbled upon his story when she was researching Nuremberg war crimes trials in 1995. "I came across the name Eleke Serewitz, which turned out to be the pseudonym he adopted after the war," she said. "He was charged with specifically carrying out the execution of three Jewish prisoners in his camp. It said in the indictment he was a Jew, an SS NCO and commandant of a concentration camp.

"Moreover, it said he was a 'special case' because he was Jewish who killed 'race comrades.' I found this despicable, as if the act of murder would have been less if it had been a Catholic killing the Jews."

As she dug deeper she uncovered the true history of Serewitz/Scherwitz. He was a businessman, like Schindler, more concerned with profits than people. He was a conman with "criminal energy," a man who in post-World War I Riga bartered, traded and stole anything he could to turn a profit and operated small workshop factories that employed Jews throughout the war.

Military archives showed he joined the SS in 1933 in Berlin. Kugler speculates he may have joined the SS to keep out of the armed forces in the war that few doubted was coming.

Certainly he was a gambler: when he was arrested after the war he was running relief efforts for Nazi victims around Stuttgart.

Kugler believes that, like Schindler, he may have finally become the man he should have been when the brutality of the Nazis became clear - that he may have joined the SS to try to save other Jews.

She wrote: "I found eyewitnesses who said that at the concentration camp outside Riga he saved many women destined for execution at the shooting pits at Rumbula where, in 1941, 28,000 Jews were executed.

"When shootings began in the Riga ghetto he locked up his workers in his factories so they could avoid execution or selection for transportation.

"Perhaps he was involved in the mass shootings in Rumbula, perhaps not. Certainly there is no evidence he participated either in the ghetto or on the way to Rumbula in any executions. There is testimony of an eyewitness in 1945 which indicates he was drunk after the last night of executions.

His face was red and a witness asked him: 'Mr Scherwitz, what's up?' He replied: 'Terrible things have happened that the world will not believe.' I don't think he was involved but that he knew what was going on."

As to the charge that he killed three inmates, Kugler said: "Scherwitz did not shoot the Jews: of this I am convinced, but I cannot prove it. I came to this conclusion because I believe I came to know his nature. Scherwitz was everything but a sadist." Scherwitz was sentenced to six years' in jail by a German court in 1949 and never stopped protesting his innocence until his death in 1978.

 

 

SCOTLAND on SUNDAY

Sun 7 Nov 2004

Nazi who saved his fellow Jews

ALLAN HALL IN BERLIN
 

TO ALL around him he was the archetypal German SS officer who appeared to worship Hitler and ran his concentration camp with a rod of iron.

After the Second World War, Fritz Scherwitz was charged with personally executing three Jewish slave labourers who had broken his rules and declared a war criminal.

But a new book reveals the incredible secret that the camp commandant hid from his SS comrades throughout the war. The officer in the Third Reich’s most notorious unit was a Jew himself.

Scherwitz’s story resembles that of Oskar Schindler, the Czech-born businessman who saved hundreds of Polish Jews from the Auschwitz gas chambers by employing them in his factory to make crockery for the German army. His exploits were made into an Oscar-winning movie, Schindler’s List, by film-maker Steven Spielberg.

Now, 10 years after the film’s release, the new book claims Scherwitz also saved the lives of numerous female Jewish prisoners in his homeland of Latvia by donning the uniform of his people’s persecutors and adopting similar tactics.

Scherwitz’s life has been pieced together by author Anita Kugler, who hopes his reputation will now be seen in a different light. The former Berlin newspaper journalist stumbled upon him in 1995 when she was researching Nuremberg war crimes trials.

"I came across the name Eleke Serewitz, which turned out to be the pseudonym he adopted after the war," said Kugler. "He was charged with specifically carrying out the execution of three Jewish prisoners in his camp and it said in the indictment he was a Jew, an SS non-commissioned officer and commandant of a concentration camp.

"Moreover, it said he was a ‘special case’ because he was a Jew who killed ‘race comrades’."

Scherwitz was born in Latvia in 1903 but moved to Berlin with his family, ethnic Baltic-Germans, in 1925.

Military archives show that Scherwitz joined the SS in Stuttgart in 1939, after friends, Kugler says, falsely testified to his "Aryan purity".

At that time the SS performed the role of Hitler’s paramilitary security service and Kugler speculates that he joined to avoid being forced to serve in the armed forces and fight in the conflict that few doubted would soon be arriving.

"It was an incredible gamble for a Jew, but he pulled it off," said Kugler. In 1941, he was coincidentally posted to Riga, the capital of Latvia which was occupied by the Nazis during the war. Back in his native land, he set up a network of small factories employing Jewish workers from Riga’s ghettos as slave labour to make clothing and shoes for the German army.

Kugler believes Scherwitz had twin motives; to save Latvian Jews from the brutality of the Nazi regime, while enriching himself.

She maintains that at this stage he was more concerned with profits than people, a conman with "criminal energy", who bartered, traded and stole anything he could to make a living.

But it was in his interest to protect his Jewish workforce as much as possible from being rounded up by German soldiers.

"When shootings began in the Riga ghetto he locked up his workers in his factories so they could avoid execution or selection for transportation," Kugler said. "He got meals and bedding for his workers."

Later, as the horrors of the holocaust mounted, Scherwitz was appointed commandant of a small labour camp just outside the boundaries of the capital. He was known to speak Yiddish and recite Jewish prayers to the prisoners.

Kugler believes his concerns became more humanitarian. "I found eye-witnesses who said that at the concentration camp outside Riga he saved many women destined for execution at the shooting pits at Rumbula. More than 28,000 Jews were executed there, most of them women and children.

"Certainly there is no evidence that he participated either in the ghetto or on the way to Rumbula in any executions."

He stayed at the camp until the end of the war. "There is testimony of an eye-witness in 1945 which indicates he was drunk after the last night of executions. His face was red and a witness asked him: ‘Mr Scherwitz, what’s up?’ He replied: ‘Terrible things have happened that the world will not believe.’ I don’t think he was involved, but that he knew what was going on."

As to the specific charge that he killed three inmates, Kugler said: "Scherwitz did not shoot the Jews. Of this I am convinced. I came to this conclusion because I believe I came to know his nature. Scherwitz was anything but a sadist. He was very calm. All eye-witnesses always say that even in the most difficult situations he did not turn to brutality.

"He let human beings get out of the camp. Why would he calculate then to shoot some of them?

"He was friendly with one of the victims and there was only one prosecution witness after the war who was sworn in four times and four times contradicted himself. Besides, it is unclear whether he was, at the time of the deaths, still in the camp. Many Jews told me they owe their lives to Scherwitz."

Kugler said she did not find Scherwitz "pleasant" but "a man of his time who represented the mistakes, the madness and the disasters of a half century ago".

He was certainly a survivor and a lifelong gambler. When he was arrested after the war he was in charge of relief efforts for Nazi victims back in the area around Stuttgart, using his new name of Eleke Serewitz.

He was sentenced to six years in jail by a German court in 1949 and never stopped protesting his innocence until his death in 1980.

Kugler describes him as an "immoral moralist who, in my opinion, did his best for the people in Riga. I trained as a lawyer and, as a lawyer, I would have acquitted him at his trial because the judgment did not correspond to legal standards. The Bavarian court that convicted him wanted to show that Jews could also be war criminals and carry a part of the national guilt. For many Scherwitz was the epitome of a ‘smudgy Jew’ who troubled their wives and seduced their daughters like the Nazi propaganda said they did."

 

 VOICE OF GERMANY

28. Sep 2004 07:56, ergänzt 12:17

Ein SS-Mann voller Widersprüche

Anita Kugler: Scherwitz. Der jüdische SS-Offizier, Kiepenheuer und Witsch, Köln 2004. 758 Seiten, 23,60 Euro

Der SS-Mann Scherwitz leitete ein KZ-Außenlager in Riga. Nach dem Krieg war er für die Betreuung von Nazi-Opfern zuständig. Seine Geschichte schrieb die Journalistin Anita Kugler auf.
Am 26. April 1948 wird Dr. Eleke Scherwitz, Regionalleiter für die Betreuung der Opfer des Nationalsozialismus in Oberschwaben als mutmaßlicher Kriegsverbrecher verhaftet. Jüdische Überlebende aus Lettland beschuldigen ihn des Mordes an KZ-Häftlingen. Es beginnt eine Prozessserie ohne Beweise, die aber mit einem letztlich antisemitischen Urteil endet. Die Folge: sechs Jahre Haft.

Der SS-Mann Scherwitz machte ab 1943 Karriere als Leiter eines KZ-Außenlagers in Riga. Hier wurde er aber nicht zum Mörder von Juden, sondern im Gegenteil, zu ihrem Lebensretter. Er log und betrog, um einige hundert Juden zu retten. Nach dem Krieg erklärte er, er sei selbst Jude. Ob das stimmt, bleibt bis heute unklar. Anita Kuglers Buch «Scherwitz. Der jüdische SS-Offizier» begibt sich auf Spurensuche. Es ist sowohl eine spannende Biographie dieser rätselhaften Figur, als auch eine akribische Recherche über die Ermordung der lettischen Juden.


Netzeitung: Sie bezeichnen die sechsjährige Arbeit an Ihrem Buch über den ehemaligen SS-Mann Scherwitz als «Lebensprojekt». Was hat Sie dazu bewogen, dieses Buch zu schreiben?

Anita Kugler: Ich habe dieses Wahnsinnsprojekt aus mehreren Gründen angefangen. Erstens habe ich wegen meiner deutsch-baltischen Herkunft viel gewusst über die Geschichte von Riga mit Ausnahme des Nationalsozialismus, was bei uns zu Hause kein Thema gewesen ist. Zweitens habe ich seit 15 Jahren ganz engen Kontakt zum jüdischen Museum in Riga und habe mich viel für die Entschädigung der dortigen NS-Opfer eingesetzt. Drittens war die Geschichte toll und ich hatte super Quellen. Viertens liebe ich «graue» Geschichten, die schwierig sind und über die man streiten kann. Über Scherwitz kann man.

Netzeitung: Allerdings. Der ehemalige KZ-Häftling Abraham Schapiro, der sich als 17-Jähriger Scherwitz' Arbeitern im Lager anschloss und 1949 im Prozess ihn belastende Aussagen machte, bezeichnet ihn heute als einen «guten Nazi». Würden Sie dem zustimmen?

Kugler: Aus seiner Perspektive hat er völlig Recht. Selbstverständlich hat Scherwitz in SS-Uniform den Nationalsozialismus repräsentiert. Er war schließlich der Leiter des Außenlagers. Er hat aber auch dank seiner Reputation in Riga und dank den hervorragenden Arbeitsleistungen der Häftlinge und weil er Luxusware an die SS lieferte, den Häftlingen ein vergleichsweise glänzendes Leben ermöglicht. Für die Häftlinge war er ein guter Nazi gewesen.

Netzeitung: Was für ein Mensch war Eleke Scherwitz alias Fritz Sirewitz für Sie?

Kugler: Er war ein unmoralischer Moralist. Er hat für seine Häftlinge in Riga, meiner Meinung nach und laut der Dokumente, getan, was er tun konnte. Aber selbstverständlich ist er Teil des Systems gewesen und als Teil des Systems hatte er eine Verantwortung, die er nach dem Krieg hat leugnen wollen.

Netzeitung: Würden Sie ihn dennoch nachträglich freisprechen?

Kugler: Ich hätte ihn als Jurist freigesprochen, aber nicht weil ich ihn für einen guten Mensch halte, sondern weil das Urteil keinen rechtlichen Standards entsprach. Wenn man keine Beweise hat und die Hauptaugenzeugen Meineid leisten, viermal hintereinander, wenn es keinerlei Indizien dafür gibt, dass er drei Häftlinge nach der Flucht erschossen hat, wie man ihm vorwarf, hätte man ihn mangels Beweisen freisprechen müssen. Das ist ganz klar: Im Zweifel für den Angeklagten. Das ist nicht getan worden.

Netzeitung: Scherwitz wurde von einem Münchener Gericht schuldig gesprochen. Inwieweit war dieses Urteil für Sie ein Grund, Ihr Buch zu schreiben?

Kugler: Dieses Urteil, es gab insgesamt drei Verhandlungen und Urteile, ist ein wesentlicher Grund dafür. Denn darin stand, Scherwitz sei als besonders moralisch verwerflich anzusehen, weil er als Jude eigene «Rassegenossen» getötet habe.

Netzeitung: War dieses Urteil durch diese Formulierung eine Art Entlastung für deutsche Kriegsverbrecher?

Kugler: Dieses Urteil und der Prozess waren zeitgebunden. In der Zeit um 1949, kurz nach Beendigung der Nachfolgeprozesse im Nürnberger Prozess, gab es in Deutschland riesige Debatten über «Kollektivschuld» und über «Siegerjustiz». Dieses bayerische Gericht wollte nun zeigen, dass es unabhängig von der Person urteilt, indem es auch einen Juden für schuldig spricht, dass auch Juden Kriegsverbrecher sein können und einen Teil der Schuld tragen.

Netzeitung: Das heißt in einem Umkehrschluss, dass es weniger schlimm gewesen war, dass Deutsche Juden ermordet haben.

Kugler: Ja, haargenau. Herbert Ungar, ehemaliger Häftling im Scherwitz-Lager und Ermittler beim Nürnberger Prozess, sagte: «Dieses Urteil atmet den Geist der Nazi-Justiz.» Er hatte völlig Recht. Auch die Männer vom 20. Juli wurden nämlich besonders hart und demütigend bestraft, gerade weil sie Deutsche waren und den «Führer» verraten hatten.

Netzeitung: Sechs Jahre und 600 Seiten weiter können Sie immer noch nicht beweisen, dass Scherwitz tatsächlich ein Jude war, wie er selbst behauptet hat. Ist das ein Problem?

Kugler: Das Hauptanliegen dieses Buches ist nicht, herauszufinden, ob er Jude war oder nicht. Das ist nicht meine Aufgabe. Mein Faszination hingegen war, dass alle geglaubt haben, dass er Jude ist. Das finde ich viel wichtiger. Die amerikanische Besatzungsmacht wollte einen schönen anständigen deutschen Juden haben. Scherwitz hat sich als promoviert ausgegeben und war ein Fachmann, der viele Sprachen beherrschte und hervorragend auftrat. Er war das Gegenbild zu diesen armen Menschen, den ost-europäischen Displaced Persons, die völlig demoralisiert und unterernährt aus den KZ kamen. Er wurde Treuhänder von arisiertem jüdischen Eigentum und hat seine Aufgabe prima gemacht.

Netzeitung: Auch die Deutschen zweifelten niemals an seinem Judentum.

Kugler: Auch Philipp Auerbach, der berühmte bayerische Staatskommissar für Wiedergutmachung wollte ihn. Auch die Bevölkerung im bayerischen Dorf Wertingen in den Jahren 1947-48 wollte ihn als Juden sehen, denn sie waren Antisemiten. Für sie war Scherwitz der Inbegriff eines «schmierigen Juden», der ihre Frauen verführt und ihre Töchter belästigt. Eine Graphologin «erkannte» damals nach einer Schriftprobe, dass er ein jüdischer Bastard war und hat Tipps gegeben, wie man sich ihn vom Leib zu halten hat.

Netzeitung: Auch die jüdischen KZ-Überlebenden wollten daran glauben, dass Scherwitz ein Jude war. Warum eigentlich?

Kugler: Heute wollen das die meisten dieser Überlebenden des Scherwitz-Lagers. Sie sagen: «Er ist ein jüdischer Schindler. Er hat sich als Jude in die SS gemauschelt und dort subversiv den Schutzmantel über die Juden gelegt.» Das ist natürlich eine Legende, aber das wollen sie gern. Aber beim Prozess 1949 haben sie ihm vorgeworfen, dass er sich nicht zu seinen Taten bekannte und sich der jüdischen Gerichtsbarkeit nicht stellte. In den DP-Lagern gab es interne jüdische Gerichte. Einige regten sich darüber auf, dass Scherwitz statt dessen als Jude Karriere als Wiedergutmachungsbeamter machte und wieder Juden unter sich hatte. Sie glaubten, dass er Jude war, weil er Jiddisch sprach, jüdisch aussah und sogar das Kol-Nidrei-Gebet kannte.

Netzeitung: Sie sind stolz darauf, dass Ihre jüdischen Freunde Ihnen über ihr wirkliches Leben im Arbeitslager erzählten, auch Gauner- und Liebesgeschichten. Ein deutscher Verleger hat wegen solcher Beschreibungen einen Skandal befürchtet und Ihr Buch abgelehnt. Können Sie eine solche Haltung verstehen?

Kugler: Ich schreibe in der Tat sehr viel über das interne Lagerleben, weil ich hervorragende Dokumente habe. Dort gab es auch zwei Fälle, in denen Häftlinge einen anderen Häftling, der das Lagerleben gefährdete, töteten. Warum soll ich das verschweigen und sagen: «Das könnte den Juden schaden?» Es ist doch nicht so, dass man in einem KZ ein guter Mensch wird. Ich habe überhaupt keine Lust, mich in die Reihe der Tabubrecher zu setzen.

Ich habe das aufgeschrieben, was in den Quellen zu finden ist. In den Lagern sind keine Engel gewesen, sondern Menschen, die wiederum entmenscht worden sind – ihre Frauen und Kinder wurden ermordet. Ich beschreibe diese Gesellschaft aus ihren eigenen Dokumenten und das hat mit Tabubrechen überhaupt nichts zu tun.

Netzeitung: In Ihrem Buch erforschen Sie ausführlich die Verfolgung und Ermordung der meisten der 90.000 lettischen Juden. Warum wurde bei Ihnen zu Hause dieses Kapitel verschwiegen?

Kugler: Die 70.000 Deutschbalten verließen das Land mit dem Hitler-Stalin-Pakt – der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt vom 23. August 1939 sah neben den Nichtangriffsklauseln auch die gegenseitige Neutralität im Kriegsfalle der anderen Partei vor. Sie können also nicht gewusst haben, was 1941 im Baltikum geschehen war. Sie haben sich aber auch nicht dafür interessiert, weil sie selbst umgesiedelt wurden.

Wie alle anderen 68er habe auch ich meinen Vater gefragt: Was hast du gemacht? Ich begann zu forschen und stellte fest, dass einige Balten, die ich kannte, 1941 mit den deutschen Truppen zurückkehrten und Teil der deutschen Besatzungsmacht waren. Ich dachte, dass ich mich darum kümmern musste, denn ich stehe in der Verantwortung der nachgeborenen Generationen.

Netzeitung: Auch in einer Zeit, in der in Deutschland eine gewisse Ermüdung beim Thema nationalsozialistische Vergangenheit einkehrt – siehe Hitlerfilm und Flick-Kunstsammlung?

Kugler: Die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus wird immer wieder neu gefragt. Es ist so unvorstellbar, was da alles gewesen ist, dass man sich das selbst erarbeiten muss, in dem man zum Beispiel die Geschichte der Großeltern recherchiert. Das ist ein ganz wichtiger Teil unserer Geschichte und ich bin froh, dass es so ist – keine Relativierung, kein Abschwächen, kein Vergessen.

Mit Anita Kugler sprach Igal Avidan. 

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