30-11-2000

 

INGEBORG BACHMANN

(1926-1973)

BIOGRAPHIE

GEDICHTE:

Die gestundete Zeit
Schatten Rosen Schatten
Keine Delikatessen 
Aria I
Herbstmanöver
Wahrlich
 
 
 

           

 

 

 

 

Kurzbiographie / Lebenslauf:

Ingeborg Bachmann wird am 25.06.1926 in Klagenfurt (Kärnten) als ältestes von drei Kindern geboren. Ihr Vater Mathias Bachmann ist Lehrer und später Hauptschuldirektor. Er entstammt einer Bauernfamilie in Kärnten. Die Familie ihrer Mutter Olga Bachmann, geborene Haas, betreibt eine Strickwarenerzeugung in Niederösterreich. Von 1932 bis 1936 besucht Ingeborg Bachmann die Volksschule, von 1936 bis 1938 das Bundesrealgymnasium und von 1938 bis 1944 dann das Ursulinen-Gymnasium in Klagenfurt, das sie mit dem Abitur abschließt. In dieser Zeit auf dem Ursulinen-Gymnasium entstehen erste Gedichte, u.a. das fünfaktige Versdrama "Carmen Ruidera" (1942), sowie die Erzählung "Das Hoditschkreuz" (1944). In den Jahren 1945 bis 1950 studiert sie in Innsbruck, Graz und Wien zunächst Rechtswissenschaft und Philosophie, später ausschließlich Philosophie mit den Nebenfächern Germanistik und Psychologie. 1946 erfolgt die Veröffentlichung der ersten Erzählung "Die Fähre" in "Kärntner Illustrierte", Klagenfurt, Jg. 2, Nr. 36 vom 31. Juli 1946. Zwischen 1947 und 1952 arbeitet Bachmann an ihrem ersten Roman "Stadt ohne Namen", der aber bei keinem Verlag untergebracht werden kann, da die Deutsche Verlagsanstalt und andere ablehnen. In den Jahren 1948 und 1949 erscheinen neben weiteren Erzählungen die ersten Gedichte in der von Hermann Hakel herausgegebenen Zeitschrift "Lynkeus. Dichtung, Kunst, Kritik", Wien, Nr. 1, Dezember 1948 und Januar 1949. 1949 macht sie ein Praktikum in der Nervenheilanstalt Steinhof bei Wien. 1950 promoviert sie dann zum Dr. phil. mit dem Thema der Dissertation: "Die Kritische Aufnahme der Existentialphilosophie Martin Heideggers" an der Universität Wien. Anschließend hat sie eine Anstellung im Sekretariat der amerikanischen Besatzungsbehörde in Wien. Von 1951 bis 1953 ist sie Redakteurin der Sendergruppe Rot-Weiß-Rot in Wien. In der Zeit fertigt sie mitunter auch Übersetzungsschriften an. Im Februar 1952 wird ihr Hörspiel "Ein Geschäft mit Träumen" erstmalig gesendet. Im Mai 1952 hält Bachmann eine erste Lesung auf der 10. Tagung der Gruppe 47 (Informationen zu der Gruppe 47 siehe unten) in Niendorf (Ostsee) unter anderem mit Ilse Aichinger. Im September des Jahres reist sie mit ihrer Schwester Isolde zum ersten Mal nach Italien. Im Mai 1953 erhält sie dann den Preis der Gruppe 47 für die Gedichte "Die große Fracht", "Holz und Späne", "Nachtflug" und "Große Landschaft bei Wien". Seit dem Spätsommer 1953 lebt sie bis 1957 mit Unterbrechungen als freie Schriftstellerin in Italien auf der Insel Ischia, in Neapel und Rom. Bachmann erhält eine Fördergabe des "Literarischen Förderungswerkes des Kulturkreises im Bundesverband der deutschen Industrie e.V." für einen Essay über Musil, die ihr im Mai 1955 in Stuttgart verliehen wird. Erstmalig veröffentlicht sie Gedichte in der mehrsprachigen Literaturzeitschrift "Botteghe Oscure", Rom 1954, Quaderno XIV, herausgegeben von Marguerite Caetani. Ihr Hörspiel "Die Zikaden" wird am 25.03.1955 vom Hamburger Nordwestdeutschen Rundfunk uraufgeführt. Sie tritt auf Einladung der Harvard-Universität in Cambridge (Massachusetts) eine Reise in die Vereinigten Staaten an und nimmt an dem internationalen Seminar der Harvard-Summer School of Arts and Sciences and of Education teil, das von Henry Kissinger geleitet wird. Im September des Jahres endet ihre beinahe einjährige Tätigkeit als Korrespondentin der "Westdeutschen Allgemeinen" (Essen) in Rom. Für die acht politischen Beiträge, die zwischen dem 09.11.1954 und dem 23.09.1955 erschienen sind, benutzt Ingeborg Bachmann das Pseudonym "Ruth Keller" (auch "R.K." bzw. "er"). 1956 veröffentlicht sie zum ersten Mal beim Piper Verlag in München, ihren zweiten Lyrikband "Anrufung des großen Bären". Dafür wird ihr von der Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung der "Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen" zugesprochen (geteilt mit Gerd Oelschlegel und verliehen am 26.01.1957 vom Senat der Freien Hansestadt Bremen). Es folgen die beiden Essays "Die wunderliche Musik" und "Noch einmal: Die wundersame Musik". Im Jahr 1957 ist sie korrespondierendes Mitglied der "Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung" in Darmstadt. Ihre Gedichte "Im Gewitter der Rosen" und "Freies Geleit" werden durch Hans Werner Henze in "Nachtstücke und Arien" vertont und am 20.10.1957 uraufgeführt anlässlich der Donaueschinger Musiktage. Ihr erster Lyrikband "Die gestundete Zeit" wird beim Piper Verlag in veränderter Form neu aufgelegt. In den Jahren 1957 bis 1958 arbeitet Ingeborg Bachmann als Dramaturgin beim Bayerischen Fernsehen in München. Im Jahr 1958 tritt sie dem "Komitee gegen die Atomrüstung" bei, das sich gegen die Atombewaffnung der Bundeswehr richtet. Es wird ihr Hörspiel "Der gute Gott von Manhattan" am 29.05.1958 uraufgeführt, wofür sie den "Hörspielpreis der Kriegsblinden" erhält, der ihr am 17.03.1959 während eines Festaktes im Plenarsaal des Bundesrates in Bonn verliehen wird. Zu diesem Anlass hält sie die berühmte Dankesrede "Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar". Am 03.07.1958 trifft sie Max Frisch in Paris bei einer Gastspielaufführung seines Dramas "Biedermann und die Brandstifter". Zwischen 1958 und 1962 lebt Bachmann abwechselnd in Rom und Zürich. 1959 wird sie Mitglied des Deutschen PEN-Zentrums der Bundesrepublik Deutschland. Während einer ersten Reise in die DDR im Jahr 1960 zusammen mit Hans Magnus Enzensberger und Walter Jens trifft sie erstmals mit Ernst Bloch und Stephan Hermelin zusammen. Am 25.05.1960 treffen sich Paul Celan, Nelly Sachs, Ingeborg Bachmann und Max Frisch in Zürich. Im Jahr 1961 veröffentlicht der Horst Heiderhoff Verlag, Wülfrath (Rheinland), die zu Lebzeiten einzige bibliophile Ausgabe eines Werkes von Ingeborg Bachmann, nämlich die Erzählung "Jugend in einer österreichischen Stadt" mit vier Originalgravuren von Rudolf Schoofs. Im Juni erscheint der erste Erzählband "Das dreißigste Jahr", wofür sie dann im Oktober in Berlin den Literaturpreis 1960/61 des "Verbandes der Deutschen Kritiker" erhält. Am 20.11.1961 wird sie zum außerordentlichen Mitglied der Abteilung Literatur der "Akademie der Künste", Berlin, gewählt. Sie übersetzt und veröffentlicht eine Auswahl der Gedichte von Giuseppe Ungaretti. Im Frühjahr 1963 erfolgt die endgültige Trennung von Max Frisch. Auf Einladung der Ford-Foundation zu einem einjährigen Aufenthalt in Berlin wechselt sie anschließend ihren Wohnsitz nach Berlin. Sie hat Kontakte zu Alfred Andersch, Uwe Johnson, Johannes Bobrowski und Witold Gombrowicz. Sie schließt sich der Klage gegen den CDU-Politiker Josef-Hermann Dufhues an, der die Gruppe 47 als "Reichsschrifttumskammer" bezeichnet hatte. Im Januar 1964 macht sie eine Reise nach Prag, im Frühjahr nach Ägypten und in den Sudan. Am 17.10.1964 erhält sie in Darmstadt von der "Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung" den "Georg-Büchner-Preis" und hält die Dankesrede "Ein Ort für Zufälle". Am 22.01.1965 schreibt sie aus Berlin an Simon Wiesenthal, wobei sie für eine Verlängerungsfrist für Naziverbrechen eintritt (abgedruckt in: "Verjährung? 200 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sagen nein. Eine Dokumentation", Frankfurt/M., Europäische Verlagsanstalt, 1965). Bachmann unterschreibt 1965 mit anderen Persönlichkeiten die "Erklärung gegen den Vietnamkrieg" und wird im Herbst zusammen mit Hans Magnus Enzensberger in den Vorstand der "Europäischen Schriftstellergemeinschaft" COMES (Communità Europea degli Scrittori) gewählt. Ende des Jahres siedelt sie nach Rom über, was ihr Wohnsitz bis zu ihrem Tod sein wird. Im Juni 1967 hält sie sich in London auf, um mit Hans Magnus Enzensberger an einem internationalen Dichtertreffen teilzunehmen. 1968 wird Bachmann die erste Ehrung ihres Heimatlandes zuteil: Sie erhält aus der Hand des Bundesministers für Unterricht, Theodor Pfiffl-Percevic, am 20.11. in Wien den "Großen Österreichischen Staatspreis".
Im April 1970 begeht Paul Celan in Paris Selbstmord. Im März erscheint ihr Roman "Malina" bei Suhrkamp in Frankfurt / M. . Die Vereinigung Österreichischer Industrieller verleiht Ingeborg Bachmann im Dezember 1971 den "Anton-Wildgans-Preis der österreichischen Industrie"; die Übergabe erfolgt am 02.05.1972. Ihr zweiter Erzählband "Simultan" erscheint im Jahr 1972. Im März 1973 stirbt ihr Vater. Während einer Polenreise, anläßlich einer Vorlesungstournee, besucht sie die Konzentrationslager Auschwitz und Birkenau. In ihrer römischen Wohnung erleidet Ingeborg Bachmann in der Nacht vom 25. auf den 26. September durch einen Brandunfall schwere Verletzungen, an deren Folgen sie am 17. Oktober stirbt. Sie wird am 25. Oktober auf dem Friedhof Klagenfurt-Annabichl begraben.

 

 

 
Die gestundete Zeit
 
                       Hören Sie das Gedicht!
 

 
 Es kommen härtere Tage.
 Die auf Widerruf gestundete Zeit
 wird sichtbar am Horizont.
 Bald musst du den Schuh schnüren
 und die Hunde zurückjagen in die Marschhöfe.
 Denn die Eingeweide der Fische
 sind kalt geworden im Wind.
 Ärmlich brennt das Licht der Lupinen.
 Dein Blick spurt im Nebel:
 die auf Widerruf gestundete Zeit
 wird sichtbar am Horizont.
 

 Drüben versinkt dir die Geliebte im Sand,
 er steigt um ihr wehendes Haar,
 er fällt ihr ins Wort,
 er befiehlt ihr zu schweigen,
 er findet sie sterblich
 und willig dem Abschied
 nach jeder Umarmung.
 

 Sieh dich nicht um.
 Schnür deinen Schuh.
 Jag die Hunde zurück.
 Wirf die Fische ins Meer.
 Lösch die Lupinen!
 
 
 Es kommen härtere Tage.
 


Origem do som: Ingeborg Bachmann liest Die gestundete Zeit, Frühe Gedichte und Prosa, CD, der hörverlag, ISBN 3-89940-344-4 

O tempo aprazado

Vêm aí dias difíceis.

O tempo até ver  aprazado

assoma no horizonte.

Em breve terás de atar os sapatos

e recolher os cães nos casais da lezíria,

pois as vísceras dos peixes

arrefeceram ao vento.

Mortiça arde a luz dos tremoceiros.

O teu olhar abre caminho no nevoeiro:

o tempo até ver aprazado

assoma no horizonte.

 

Do outro lado enterra-se-te a amante,

a areia sobe-lhe pelo cabelo a esvoaçar,

corta-lhe a palavra,

impõe-lhe silêncio,

acha-a mortal

e pronta para a despedida

depois de cada abraço.

 

Não olhes em volta.

Ata os sapatos.

Recolhe os cães.

Lança os peixes ao mar.

Extingue os tremoceiros!

 

 

Vêm aí dias difíceis.

 

 

Schatten Rosen Schatten

Unter einem fremden Himmel
Schatten Rosen
Schatten
auf einer fremden Erde
zwischen Rosen und Schatten
in einem fremden Wasser
mein Schatten

 

Sombras rosas sombras

Sob um céu estranho

sombras rosas

sombras

numa terra estranha

entre rosas e sombras

numa água estranha

a minha sombra

 

 

 

Keine Delikatessen

Nichts mehr gefällt mir.

 

Soll ich

eine Metapher ausstaffieren

mit einer Mandelblüte?

die Syntax kreuzigen

auf einen Lichteffekt?

Wer wird sich den Schädel zerbrechen

über so überflüssige Dinge -

 

Ich habe ein Einsehen gelernt

mit den Worten,

die da sind

(für die unterste Klasse)

 

 

Hunger 

          Schande 

                      Tränen

 

und 

                                    Finsternis.

 

Mit dem ungereinigten Schluchzen,

mit der Verzweiflung

(und ich verzweifle noch vor Verzweiflung)

über das viele Elend,

den Krankenstand, die Lebenskosten,

werde ich auskommen.

Ich vernachlässige nicht die Schrift,

sondern mich.

Die anderen wissen sich

weißgott

mit den Worten zu helfen.

Ich bin nicht mein Assistent.

 

Soll ich

einen Gedanken gefangennehmen,

abführen in eine erleuchtete Satzzelle?

Aug und Ohr verköstigen

mit Worthappen erster Güte?

erforschen die Libido eines Vokals,

ermitteln die Liebhaberwerte unserer Konsonanten?

 

Muß ich

mit dem verhagelten Kopf,

mit diesem Schreibkrampf in dieser Hand,

unter dreihundertnächtigem Druck

einreißen das Papier,

wegfegen die angezettelten Wortopern,

vernichtend so: ich du und er sie es

 

wir ihr?

 

(Soll doch. Sollen die andern.)

 

Mein Teil, es soll verloren gehen.

 

Sem acepipes

 

Já nada me agrada.

 

Deverei eu

enfeitar uma metáfora

com uma flor de amendoeira?

Crucificar a sintaxe

sobre um efeito de luz?

Quem é que vai quebrar a cabeça

com coisas tão fúteis?

 

Aprendi a entender as coisas

com as palavras

que existem

(para a classe mais baixa)

 

Fome

         Vergonha

                         Lágrimas

 

e

 

                                     Trevas.

 

Com o soluço impuro,

com o desespero

(e eu desespero ainda com o desespero)

por tanta miséria

pelo estado do doente, pelo custo da vida,

sobreviverei.

 

Não descuido a escrita

mas a mim.

Os outros sabem

sabe Deus

o que fazer com as palavras.

Eu não sou o meu médico assistente.

 

Deverei eu

prender um pensamento,

conduzi-lo à cela iluminada de uma frase?

Alimentar o olhar, o ouvido

com nacos de palavras de primeira qualidade?

Estudar a libido de uma vogal?

Investigar a cotação erótica das nossas consoantes?

 

Terei eu,

com a cabeça desfeita pelo granizo,

com a cãibra da escrita nesta mão,

sob o peso de trezentas noites,

de rasgar o papel,

varrer as tramas de operas de palavras,

destruindo assim: eu tu e ele ela isso

 

nós vós?

 

(Devo. Devem os outros.)

 

A minha parte - que desapareça!

 

 

 

 

Aria I

Wohin wir uns wenden im Gewitter der Rosen,
ist die Nacht von Dornen erhellt, und der Donner
des Laubs, das so leise war in den Büschen,
folgt uns jetzt auf dem Fuß.

Wo immer gelöscht wird, was die Rosen entzünden,
schwemmt Regen uns in den Fluß. O fernere Nacht!
Doch ein Blatt, das uns traf, treibt auf den Wellen
bis zur Mündung uns nach.

Ária  I

Para onde quer que nos voltemos na tempestade de rosas,

a noite ilumina-se de espinhos, e o trovão

da folhagem, antes tão leve nos arbustos,

segue-nos agora de perto.

 

Onde quer que se apague o incêndio das rosas,

a chuva inunda-nos o rio. Oh, noite tão distante!

Mas uma folha que nos encontrou é levada pelas ondas

e segue-nos até à foz.

 

 

 

 

   Ich sage nicht: das war gestern. Mit wertlosem

   Sommergeld in den Taschen liegen wir wieder

   auf der Spreu des Hohns, im Herbstmanöver der Zeit.

   Und der Fluchtweg nach Süden kommt uns nicht,

   wie den Vögeln, zustatten. Vorüber, am Abend,

   ziehen Fischkutter und Gondeln, und manchmal

   trifft mich ein Splitter traumsatten Marmors,

   wo ich verwundbar bin, durch Schönheit, im Aug.

 

   In den Zeitungen lese ich viel von der Kälte

   und ihren Folgen, von Törichten und Toten,

   von Vertriebenen, Mördern und Myriaden

   von Eisschollen, aber wenig, was mir behagt.

   Warum auch? Vor dem Bettler, der mittags kommt,

   schlag ich die Tür zu, denn es ist Frieden

   und man kann sich den Anblick ersparen, aber nicht

   im Regen das freudlose Sterben der Blätter.

 

   Laßt uns eine Reise tun! Laßt uns unter Zypressen

   oder auch unter Palmen oder in den Orangenhainen

   zu verbilligten Preisen Sonnenuntergänge sehen,

   die nicht ihresgleichen haben! Laßt uns die

   unbeantworteten Briefe an das Gestern vergessen!

   Die Zeit tut Wunder. Kommt sie uns aber unrecht,

   mit dem Pochen der Schuld: wir sind nicht zu Hause.

   Im Keller des Herzens, schlaflos, find ich mich wieder

   auf der Spreu des Hohns, im Herbstmanöver der Zeit.

 

 

 

Manobras de Outono

 

 

Não digo: isso foi ontem. Com insignificantes

trocos de Verão nos bolsos, estamos de novo deitados

sobre o joio do sarcasmo, nas manobras de Outono do tempo.

E a nós não nos é dada, como aos pássaros,

a retirada para o sul. À noite passam por nós

traineiras e gondolas, e por vezes

atinge-me um estilhaço de mármore impregnado de sonho,

onde a beleza me torna vulnerável, nos olhos.

 

Leio nos jornais muitas notícias - do frio

e suas consequências, de imprudentes e mortos,

de exilados, assassinos e meríades

de blocos de gelo, mas pouca coisa que me dê prazer.

E porque havia de dar? Ao pedinte que vem ao meio-dia

fecho-lhe a porta na cara, porque há paz

e podemos evitar essas cenas, mas não

o triste cair das folhas à chuva.

 

Vamos viajar! Debaixo dos ciprestes

ou de palmeiras ou nos laranjais, vamos

contemplar a preços reduzidos

inigualáveis pôr-do-sol! Vamos esquecer

as cartas ao dia de ontem, não respondidas!

O tempo faz milagres. Mas se chegar quando não nos convém,

com o bater da culpa - não estamos em casa.

Na cave do coração, desperto, encontro-me de novo

sobre o joio do sarcasmo, nas manobras de Outono do tempo.

 

 

 

Wahrlich
Für Anna Achmatova
 

Wem es ein Wort nie verschlagen hat,
und ich sage es euch,
wer bloß sich zu helfen weiß
und mit den Worten -

dem ist nicht zu helfen.
Über den kurzen Weg nicht
und nicht über den langen.

Einen einzigen Satz haltbar zu machen,
auszuhalten in dem Bimbam von Worten.

Es schreibt diesen Satz keiner,
der nicht unterschreibt.
 

 

 

  As traduções são de Judite Berkemeyer e de João Barrento e foram extraídas de Ingeborg Bachmann, O tempo aprazado, Gato Maltês n.º 28, Assírio & Alvim, Lisboa, 1992.

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Artikel erschienen am Sa, 24. Juni 2006

Die leidende Seherin

Am Sonntag wäre Ingeborg Bachmann 80 Jahre alt geworden. Ulrike Draesner deutet sie als Autorin, die Opfer sein wollte

von Ulrike Draesner

Als die zweite Ausgabe des Erzählungsbandes "Das dreißigste Jahr" erschien, war ich vier. Der Besuch von Cousine Kathleen stand bevor. Aus Kanada. Mein schwarzer Hase zerkratzte ihren Arm, ich lobte ihn sehr dafür, Kathleen war ekelhaft, sie setzte sich auf meines Vaters Schoß.

Auf den Kirschbaum im Garten steigen durfte sie nicht, zur Strafe wurde sie ins Klo gesperrt, da hüpfte sie aus dem Fenster, das durfte sie auch nicht, aber ich mußte zugeben, das war gut.

Ihre und meine Mutter waren in Bachmanns Alter.

1966. Bachmann lebte in Rom und schrieb an dem Todesartenprojekt.

Die Tante sprach deutsch mit Akzent. Einer der schlesischen Onkel war nach dem Krieg ausgewandert, und jetzt besuchten sie uns im Süden Deutschlands, damit die Kinder sahen, wo ihre Eltern herkommend nicht hergekommen waren. Kathleen saß auf der Kirsche, hielt sich Blätter wie Finger vor das Gesicht und flüsterte Worte hindurch, die ich nicht verstand. Der Krieg war 21 Jahre vorbei. Es war Nachkriegszeit. Noch immer in einer Art Vorstufe. Die zündete zwei Jahre später.

All dies ist lange her. Doch wir sind es gewohnt, Frau Bachmann auf Fotos maximal als 45jährige zu sehen, als 30-, als 20jährige. Wer früh stirbt, altert nicht recht. Die Bilder stellen ihn still. Und wir, die es in der Hand hätten, vergessen die wirklich vergangene Zeit.

Um die Autorinnenfigur Bachmann zu lesen, müßten wir über eine mediale Grenze zurückspringen. Die meisten bemerken sie nicht, so sehr formt die heutige Brille den Blick. Die Grenze, an der auch Auffassung und Verständnis von Autorschaft sich massiv ändern, liegt in den fünfziger Jahren, jener Zeit, die alle Erzählungen des "Dreißigsten Jahres" bestimmt. Hörfunk und Film, dann das Fernsehen, kurz darauf der Computer und andere digitale Anwendungen schaffen eine neue Situation auch für die Literatur. Alte, metaphysische Schreib-Gründe verlöschen; Medienkonkurrenz macht sich bemerkbar. Unser Abstand zum Jahr '66 ist riesig. Ebenso der zu Bachmanns Texten. Es geht nicht nur um Phänomene des Alterns, sondern um einen zeitlichen Sturm, der schon während des Erscheinens des Bachmannwerkes blies und nach der letzten Erstveröffentlichung 1972 mit uns allein weiterfegte in eine verschaltete, im Zeichen der Virtualität, der Genetik, der Werbung und der Spekulation sich darbietende Welt.

Hinzukommt: Bachmann ihrerseits folgte einem Modell von Autorschaft, das bereits alt, ja überholt war, als sie auf den Plan trat. Es faßt den Autor als Seher, Leidenden, Rufer. Andere collagieren, experimentieren mit Auge und Ohr. Die alten Metaphysiker, etwa Gottfried Benn, sind ironisch-lakonisch geworden. Da ist das Wahrheitsrufen der noch nicht einmal Dreißigjährigen, gepaart mit dem Beharren auf einer tragischen Biographie, durchaus eine konservative Installation. Und ein Köder, der mit der Neugier des Publikums und seinem Voyeurismus spielt. Ein unablässiges Kreisen um Inszenierungen aus dem eigenen Lebensweg: "Das dreißigste Jahr" beginnt damit, der zweite Erzählband, "Simultan", hört so auf.

Zugleich beginnt eine Spaltung. Die Autorenfigur teilt sich in die Gestalt, die Medien produzieren. Und jene andere, geheimere, die sich aus den Texten selbst erschließt. Daß ich mit dem Bild, das nach außen entsteht, fortfahre, ist kein Zufall. Es ist der Fall Bachmann. Das Bild hat sich vor die Lektüre ihrer Texte geschoben; sie ist die erste, die nach dem Zweiten Weltkrieg auf diese Weise in den Fokus unserer Bildverfertigungssüchte, unserer Klatschlust, unserer Überblendung eines Werkes durch eine Figur, unserer Blendung, geriet.

1954 hebt der "Spiegel" Bachmann aufs Cover. Der zugehörige Artikel hat Qualität, denn er bringt die Dinge bis heute auf den Punkt. Seinem Verfasser erscheint die Dichterin als überintellektuell, aber auf einem guten Weg, nämlich zu Sinnlichkeit, Reim und Form. Die alte Karte "Intellekt versus Gefühl" wird gespielt. Dann, zum Ende, die Karte Tod. "Todestrunkene Verse" Platens werden als Bachmanns Lieblingszeilen zitiert. Das ergibt eine kohärente Geschichte. Wie sie entsteht, wird ebenfalls erwähnt, in einem Nebensatz. "Auch das möblierte Mädchen erscheint als Symptom." Eigentlich ist die Rede vom Wohnen zur Untermiete. Doch bezeichnet der Ausdruck, gerade als Symptom, exakt, was mit der Person Bachmann auf dem Weg zur Autorinnenfigur Bachmann vor sich geht. Sie wird eingeräumt. Schubladen werden in sie geschlagen, damit sie in sich einräumen läßt, wer sie sein soll - darf - kann.

Interessant an diesem Vorgang ist zweierlei. Er gehört zum Beruf "Autor". Und zweitens, wichtiger: Er beruht auf Interaktion.

Ich spreche über Züchtung. Jenen Bereich, in dem Autorenfiguren aus dem Boden eines Lebens gezogen werden. Die einst oder noch immer lebendige Person kann man sich als Stück Zellstoff vorstellen, mit ein paar darin angelegten Samen. Erst der Blick der anderen, unser Blick, ist das Wasser, das darauf gegossen wird, bis Pflanzen hervorranken, wild wuchern, und schließlich den weißen Zellstoff ganz überwachsen.

Hier hören wir von Bachmanns Liebhabern, ihrer Hilflosigkeit, einem Führerschein, dessen Existenz sie leugnet, Taschentüchern und einem Hang zu Frisiersalons. Die Hilflose, das Weibchen, das fallen ließ, was Männer aufheben sollten, unfähig zerstreut. Dieses Bild wurde Bachmann aus einem traditionellen Dichterinnenklischee heraus zum einen gewiß suggeriert. Sie nahm es aber auch an. Rollenspiel und Echtes, in gutem Glauben Erinnertes und geschickt in den Literaturbetrieb Eingeschleustes überkreuzen sich hier zum Nutzen sowohl der Autorin als auch ihrer Rezipienten.

Es geht nicht darum zu fragen, was daran echt war, was gespielt. Wichtiger: Warum und wie werden diese Geschichten erzählt? Für lebende Autoren ist der Inszenierungsspielraum gewiß größer, als er es für Bachmann war. Ebenso aber wird größere Bewegungssicherheit im Umgang mit diesen Inszenierungen verlangt. Sie verbreiten sich schneller, sind marginaler und doch nützlich oder schädlich und manchmal beides zugleich. Aussehen des Autors, Gesten und Vitendarstellung: am besten, wie auch bei Bachmann, politisch korrekt. Und die Rollen für Frauen, allemal Dichterinnen - beweglicher? Ich weiß es nicht. Die Oberfläche möchte so scheinen. Doch sie eben ist, was uns blüht.

Dennoch wäre es nicht richtig, Bachmann als bloße Gerüchtgestalt zu bezeichnen. Denn es gibt ihn noch, jenen in unserer Mediengesellschaft gern in den Hintergrund gespielten literarischen Ort, an dem man einen Autor aufsuchen kann: seine Texte. Dort ist er nicht Gerücht, sondern eine Figuration im Geschriebenen selbst, ein Schattenwurf aus Schrift.

Folgen wir der Spur "Bachmann als Medienautorin" auch hier. Medien wandern in ihren zweiten Erzählband "Simultan" aus dem Jahr '72 ein. Eine Dolmetscherin geht auf Reisen. Eine Fotojournalistin sucht "Drei Wege zum See". Allerdings, die alte Welt bleibt omnipräsent: Auch bei Nachrichten geht es um Wahrheit, Moral, Belehrung, Gewissen.

Die Prosa Bachmanns ist, wie die Überzahl ihrer Gedichte, in die Vergangenheit gewandt. Ich höre darin, nicht als "als ob", sondern gewollt direkt, einen persönlichen Schrei. Und ich glaube ihn nicht. Er ist gemacht. Da will jemand Opfer sein. Ich finde das aufdringlich. Wenn ich mich überwinde, das Schrei-Zitat noch einmal betrachte und damit meine eigene Wahrnehmung, spüre ich nicht nur die Inszenierung dieses Schreis, sondern, darin, ein Taumeln des erzählerischen Ganges.

Hier horche ich auf. Hier scheitern die Texte. Hier sind sie interessant. Hier setzt die Autorfigur ein, die man aus der Fiktion selbst lesen kann. Wir haben gelernt, daß nicht der Autor im Text spricht, sondern der Erzähler. Richtig. Ich meine mit Autor-im-Text etwas hinter dem Erzähler: jene auf den Boden des lesenden Gehirns gespiegelte Figur, die das Arrangement betreibt, den Erzähler und seine Bewegungen erfunden hat.

Der "Das Dreißigste Jahr" eröffnende Text, "Jugend in einer österreichischen Stadt", handelt nicht vom Schreiben. Doch taucht es gegen Ende auf, in einem Bild:

"Wo die Stadt aufhört,... kann man sich niederlassen einen Augenblick, und das Gesicht in die Hände geben. Man weiß dann, daß alles war, wie es war, daß alles ist, wie es ist, und verzichtet, einen Grund zu suchen für alles."

Wer das Gesicht in die Hände "gibt", spricht durch die Finger. Zunächst sind es die eigenen, und man versucht, indem man schreibt, Mund und Mimik durch sie in Schrift zu verwandeln. Diese aber legt man in fremde Hände. Eine Gabe, ein Risiko auf beiden Seiten, ein Stück Verantwortung, gerade auch in bezug auf die Spannung zwischen einem Lebensbogen und uns. Zwischen Rollenspiel, Frauen- und Autorinnenrollen, und dabei liegt die Betonung nicht auf dem Geschlecht, sondern auf dem Beruf, zwischen Außenbild und Insichsein. Und der Absonderung einer Figur, die Fiktion wird, obwohl und während man sie lebt.

Heinrich Mann noch bezeichnete den Dichter als "Paria der Höhe"; Benn sah ihn bereits als biologische Endstufe des Niedergangs. Der Vertrag, demzufolge der Künstler als die eigene Welterfahrung exemplarisch setzender Künder erscheint, wurde vielleicht für Dichtung 1954 noch akzeptiert, zehn Jahre später war er gekündigt. Die Klagenfurterin setzte auf ihn, ein Stück Romantik, während ringsum Techniken der Moderne aufblühten, Hand in Hand mit der Medienentwicklung des Globus. Später versuchte sie etwas zu ihrer Zeit radikal Neues: Sie projizierte den Nationalsozialismus in den Einzelnen - und dort auf dessen Geschlechterbeziehungen. Betrachtet man die feministischen Lektüren der Achtziger, ahnt man, wozu wir Autoren brauchen. Bachmanns Programm jedoch führte erzählerisch in einen Irrgarten, eine Ichverzweigung. Sie glaubte an Tiefenforschung, Ichzerlegung, Träume, Alpträume, Unterschriften und fabrizierte doch Ichs nebeneinander wie Zwiebeln in einem Netz. Manchmal sieht man sie in ihren Texten, im Schatten, aber Bachmann will sie nicht haben, löscht sie weg, es gelingt nicht ganz. Angestrebte Allgemeingültigkeit verliert sich in Namens-, Eß- und Tablettenirrtum, Figuren entwickeln sich nicht wirklich, weil ihre geschriebenen Leben am Ende Monster-Opfer-Schemata illustrieren sollen, die Regie schwankt, weil die Autorin, nervös und überfordert, zu starr greift.

Nicht die Botschaft der Prosa, ihr Männerfrauenkampf, nicht ihre Sprache und nicht die Opferthematik gehen mich an, sondern dieses schwindelnde Ver-Suchen. Es stellt eine Frage an uns: Was bedeutet ein Leben als Autor - damals, jetzt?

Wir wissen wenig darüber, wie Neues entsteht, schreibend-findend erfunden wird. Unter welchen Bedingungen dieses unwägbare Können, nein, diese Möglichkeit, sich entfaltet oder verkümmert, weiß auch jener nicht, der es an sich versucht. Man muß sich auf die Nase verlassen, Spürsinn, ein Spüren mit innerem Sinn; es führt auch in die Irre, Stöße von außen kommen hinzu, aus dem Betrieb, aus der Bilderfabrikation wirken sich aus. Das Risiko übernimmt, wer als Autor spielt. Wir, die von außen darauf sehen, weil das die einzige Weise ist, es bei einem anderen wahrzunehmen, sollten bedenken, daß etwas Empfindliches, Fragiles sich zeigt; etwas, das in seinem Kern menschlich ist.

Am Ende, las ich vor kurzem, seien die toten Dichter nur mehr Fragezeichen. Diese Vorstellung gefällt mir: ein Zeichen im Satz, im Satzbau, im Sprachgefüge sein. Eine Schlange über einem Punkt. Etwas, das den Satz öffnet.

Tatsächlich ist das Autorenbild, das wir uns machen, wichtig allein für uns. Über uns wirft es seinen Schatten, in uns wirft es sich zurück. Welche Möglichkeiten räumen wir anderen - und damit auch uns ein? Wie möblieren wir den eigenen Kopf?

Das Gesicht in die Hände geben. Cousine Kath, flüsternd, im Kirschbaum versteckt. Ein Stück Sehnsucht nach Geborgenheit drückt sich darin aus. Wir spüren sie im Lesen der Frau, die nicht Mann war, als Frau aber Männer(n) nachspielte. Die sich verschubladete, verlor, aufspannte, einriß, sich am Riemen riß, die Hände ins Gesicht schlug, das Gesicht in die Hände gab, den Kopf senkte, den Boden sah, die eigene Haut.

Seltsame, manchmal schwer erträgliche Buchstaben der Verwischung und des Exhibitionismus, des Spiels, der Koketterie. Das Gesicht in die Hände, die Hände vors Gesicht: aus Scham, Neugier und Lust. Bachmanns Erzählungen werden so wenig fiktiv, weil sie ein Sprechen über sich selbst bleiben, nur im Modus eines anderen. Sie werden so wenig lebendig, weil sie nicht sprechen über einen anderen, dem man sich hingibt, um abzusehen von sich. Bachmann gibt das Gesicht in die Hände, lugt uns durch die Finger an. Damit spielte sie ein sehr zeitgenössisches Spiel, das der Authentizität, vermittelt über Biographie.

Doch das Gesicht in die Hände zu geben ist auch eine Geste der Liebe, der Übergabe. Zu selten fühlen wir, daß Texte und damit Autorenbilder, die Leben waren, uns und unserer Lektüre anvertraut sind. Wir dürfen stehen und lauschen, ohne alles verstehen zu müssen.

Schauen wir noch einmal hin. Im Bild von Hand und Gesicht und ihrer Bewegung aufeinander zu ist Schreiben doppelt gezeichnet.

Ulrike Draesner lebt als freie Schriftstellerin in Berlin. Zuletzt erschien der Roman "Spiele" bei Luchterhand. Dies ist die gekürzte Fassung einer Rede, die sie am 23. Juni in Klagenfurt gehalten hat.