12-7-2005

 

 Hitlers Volksstaat -  Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus,

 

von Götz Aly

 

 

11/2005 

Hitlers zufriedene Räuber

Ein Buch, das einen neuen Blick auf die Nazizeit wirft: Götz Aly deutet den Holocaust als größten Massenraubmord der Geschichte

Von Volker Ullrich

Götz Aly: Hitlers Volksstaat Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005
464 Seiten, gebunden, Euro 22,90

 

Ein provokantes Buch! Da hatten wir, den bevorstehenden Jahrestag des Kriegsendes 1945 im Blick, uns schon bescheinigt, in der »Aufarbeitung« der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft geradezu Vorbildliches geleistet zu haben. Da hatten wir uns in der Gewissheit gewiegt, dass der Holocaust mittlerweile nicht nur in all seinen Dimensionen erforscht, sondern auch fest im öffentlichen Bewusstsein verankert sei. Und nun kommt Götz Aly und will uns belehren, dass wir nicht am Ende, sondern in mancher Hinsicht erst am Anfang der Auseinandersetzung stehen: »Der Holocaust bleibt unverstanden, sofern er nicht als der konsequenteste Massenraubmord der modernen Geschichte analysiert wird.«© Bundesarchiv.

 

Den Anfang machte er mit einer Studie über das nach 1933 perfektionierte System der Volkszählungen, Meldegesetze und Karteikarten: Die restlose Erfassung (mit Karl Heinz Roth, 1984). Danach widmete er sich der Rolle der wissenschaftlichen Experten, die den Nazis zur Hand gingen: Vordenker der Vernichtung (mit Susanne Heim, 1991), um sich anschließend dem bis dahin kaum beachteten Zusammenhang zwischen der NS-Politik der »Völkerverschiebung« und dem Mord an den europäischen Juden zuzuwenden: »Endlösung« (1995). Es folgte ein Buch über den Holocaust in Ungarn 1944, das zeigt, wie eng Eichmanns Vernichtungsspezialisten mit der ungarischen Regierung, Verwaltung und Polizei kooperiert hatten: Das letzte Kapitel (mit Christian Gerlach, 2002). Erst kürzlich demonstrierte der ungemein produktive Forscher, was sich trotz spärlichster Überlieferung dennoch über die Lebensgeschichte eines jüdischen Mädchens, Marion Samuel, in Erfahrung bringen ließ, das 1943 in Auschwitz ermordet wurde: Im Tunnel (2004).

Im Mai 2002 hielt Götz Aly in der Berliner Akademie der Künste einen Vortrag zum Thema Hitlers Volksstaat (wieder abgedruckt in seiner Essaysammlung Rasse und Klasse, 2003). In Abwandlung des bekannten Diktums von Max Horkheimer – »Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte vom Faschismus schweigen« – stellte Aly damals fest: »Wer von den vielen Vorteilen für die Millionen einfacher Deutscher nicht reden will, der sollte vom Nationalsozialismus und vom Holocaust schweigen.« Mit dieser provozierenden These war zugleich ein Forschungsprogramm skizziert, dem sich der Berliner Historiker in den folgenden Jahren intensiv gewidmet hat und dessen Ergebnisse nun in seinem jüngsten Buch zu besichtigen sind.

Zunächst fragt Aly danach, wie es Hitler vermochte, seine zu Beginn noch höchst labile Herrschaft innerhalb kurzer Zeit zu festigen und ein erstaunlich hohes Maß an innenpolitischer Integration zu erreichen. Die Antwort widerspricht allen gängigen, den terroristischen Charakter des Regimes herausstreichenden Vorstellungen. Demnach war das »Dritte Reich« eine »Gefälligkeitsdiktatur«; Hitler und die Männer seiner Entourage agierten als »klassische Stimmungspolitiker«, die geradezu peinlich darauf bedacht waren, die Masse der Bevölkerung bei Laune zu halten. Zu diesem Zwecke gossen sie das Füllhorn sozialpolitischer Wohltaten aus: Familienlastenausgleich, Ehestandsdarlehen, Kindergeld, Erhöhung des steuerfreien Grundbetrags et cetera. Gleichzeitig sorgte das Regime nach dem Motto »Mehr Chancengleichheit wagen« für eine kräftige soziale Aufwärtsmobilität. Verhärtete Strukturen wurden aufgebrochen, traditionelle Hierarchien abgeschliffen. Aly spricht, in Anspielung auf die Rede von Bundespräsident Roman Herzog, von einem »großen Ruck«, der damals durch Deutschland gegangen sei und eine beachtliche gesellschaftliche Dynamik freigesetzt habe.

Im »völkischen Gleichheitsversprechen«, das einherging mit einer Ausgrenzung aller so genannter volksfremder Elemente, in erster Linie der Juden, lag, folgt man dieser Darstellung, die Hauptattraktion des Nationalsozialismus. »Volksgemeinschaft«, »Volkswohl«, »nationaler Sozialismus« – Begriffe der NS-Propaganda, die wir bislang eher als täuschenden Schein abzutun geneigt waren – werden hier beim Wort genommen. Sie spiegeln eine gesellschaftliche Realität, gewissermaßen die angenehme Schauseite der Diktatur.

Im Zweiten Weltkrieg wurde die Politik der sozialen Fürsorglichkeit keineswegs abgebremst, sondern sogar noch forciert. Nachdrücklich weist Aly darauf hin, wie stark das Handeln der NS-Führung durch das Trauma von 1918 geprägt war – die Erfahrung des plötzlichen Zusammenbruchs des Kaiserreichs im Angesicht der militärischen Niederlage. Anders als ihre wilhelminischen Vorgänger suchten die Nationalsozialisten die Lasten des Krieges gerecht zu verteilen. Für die Familien der Soldaten wurde großzügig gesorgt; sie konnten nicht selten über mehr Geld verfügen als in Friedenszeiten. Die große Mehrheit der Lohnabhängigen – Arbeiter, Angestellte, Beamte – musste keinen Pfennig direkter Kriegsteuer bezahlen. Das Verbot von Zuschlägen für Überstunden, das im November 1939 erlassen worden war, wurde bereits im August 1940 wieder abgeschafft – »aus purem Populismus«, wie Aly anmerkt. Die Rentenreform von 1941 bedeutete eine spürbare Verbesserung besonders für Kleinrentner und bescherte mit der Einführung der obligatorischen Krankenversicherung eine weitere soziale Errungenschaft.

Belastet wurden dagegen die Besserverdienenden und Vermögenden. Die exorbitanten Kriegsgewinne der Unternehmer wurden abgeschöpft, die Körperschaftsteuer erhöht, Hausbesitzer zu einer Sondersteuer herangezogen. Kurzum: Das NSRegime betrieb eine Politik der Umverteilung zugunsten der kleinen Leute. Das sicherte ihm, Aly zufolge, die Massenloyalität und bildete die Grundlage für den innenpolitischen Zusammenhalt bis zum Kriegsende.

Freilich macht der Autor deutlich, dass dieses Programm sich nur realisieren ließ durch eine rücksichtslose Ausplünderung der eroberten und besetzten Länder Europas. Zum ersten Mal werden in diesem Buch die Methoden der Kriegsfinanzierung mit gebotener Schärfe durchleuchtet, und dabei rücken Funktionsträger des Regimes ins Blickfeld, die bislang eher am Rande der Aufmerksamkeit standen – Reichsfinanzminister Lutz Graf Schwerin von Krosigk und sein Staatssekretär Fritz Reinhardt, dazu die Fachleute im Reichsfinanz- und Reichswirtschaftsministerium, der Reichsbank, der Reichskreditkassen und Wehrmachtintendanturen. Diese Truppe junger, dynamischer, hocheffizienter Führungskräfte, von denen die meisten nach 1945 ihre Karriere fortgesetzt haben, lernte sehr rasch das Einmaleins des Unterwerfens, Ausplünderns und Erpressens.

Dem besetzten Europa wurden beispiellose Besatzungskosten und Kontributionen auferlegt. Nicht nur der Sold der deutschen Soldaten, sondern alle Dienstleistungen, Rohstoffe und Produkte wurden in der Währung des Landes bezahlt, in das die Wehrmacht eingefallen war. So wurde die Kriegsinflation exportiert – mit ruinösen Folgen für Wirtschaft und Finanzen der unterworfenen Staaten. Davon profitierten allein die deutschen Besatzer, und zwar bis hinunter zu den Landsern, die aufgrund der manipulativ festgelegten Wechselkurse plötzlich viel Geld in der Tasche hatten.

Ein Heer von Schnäppchenjägern und Abzockern stürmte Warenhäuser, durchkämmte Landstriche und kaufte hemmungslos zusammen, was zu kaufen war: Lebensmittel, Textilien, Kosmetikartikel, Spezialitäten. Millionen Feldpostpäckchen wurden in die »Heimat« geschickt und besserten hier die Rationen der »Volksgenossen« auf, während zur gleichen Zeit die Menschen in den besetzten Gebieten vor allem Osteuropas hungern mussten. Unter der Überschrift Hitlers zufriedene Räuber beschreibt Aly höchst anschaulich diesen privaten Beutezug quer durch Europa. Anhand der Briefe des Gefreiten Heinrich Böll, einer in diesem Zusammenhang sehr aufschlussreichen Quelle, schildert er die korrumpierende Wirkung, welche die Möglichkeit zur individuellen Bereicherung selbst auf einen Nichtnazi aus katholischem Hause ausübte.

Schnäppchenjäger gab es auch an der »Heimatfront«. Als in der zweiten Kriegshälfte immer mehr deutsche Städte zum Ziel der alliierten Bombengeschwader wurden, organisierten die staatlichen Stellen eine unbürokratische Soforthilfe. Aus ganz Europa wurden Möbel und Hausrat der emigrierten und deportierten Juden ins Großdeutsche Reich geschafft und hier an Bombengeschädigte verteilt beziehungsweise an Interessenten verkauft. Aly nennt als besonders eklatanten Fall das Beispiel Hamburgs, auf das bereits Frank Bajohr in seinem Buch »Arisierung« in Hamburg (1997) aufmerksam gemacht hat: Allein in der Hansestadt ersteigerten in den Jahren 1941 bis 1945 mindestens 100000 Bewohner Gegenstände aus jüdischem Besitz.

Goldhagen wird vom Kopf auf die Füße gestellt

Aus der Enteignung der Juden zogen allerdings nicht nur private Profiteure ihren Nutzen; der NS-Staat selbst agierte hier in großem Stil als Beutemacher. Im brisantesten Kapitel des Buches Das Prinzip Staatsraub stellt Aly die Frage, die merkwürdigerweise bislang kein Historiker so scharf gestellt hat: wo eigentlich das Eigentum der expropriierten und ermordeten Juden Europas geblieben ist.

Den Schlüssel sucht der Autor in der Konstellation des Jahres 1938: Damals erreichte die öffentliche Verschuldung aufgrund der forcierten Aufrüstung und der breitenwirksamen Steuer- und Sozialpolitik Rekordmarken; die Staatsfinanzen standen vor dem Bankrott. In dieser Situation verfielen die NS-Finanzexperten auf die Idee, sich des jüdischen Vermögens durch Umwandlung in staatliche Zwangsanleihen zu bemächtigen. Dieses Modell, so weist Aly nach, wurde im Kriege auf die besetzten und verbündeten Länder Europas übertragen. Um hier die Kriegsinflation zu bremsen und die angeschlagenen Währungen zu stabilisieren, lenkten die deutschen Besatzer die Erlöse aus dem Verkauf jüdischen Besitztums in die jeweiligen nationalen Staatskassen. Von dort flossen sie in den Besatzungskostenhaushalt, kamen also letztlich der deutschen Kriegsfinanzierung zugute.

Der Autor beschreibt den Vermögenstransfer als einen »großangelegten, gesamteuropäischen Geldwäschevorgang«. Mit solchen klandestinen Praktiken befassen sich in der Regel Kriminalisten, nicht aber Historiker. Götz Aly ist hier eine Ausnahme. Er hat in den Archiven der Finanzverwaltungen und Nationalbanken nachgeforscht – ein mühevolles Unterfangen, denn einerseits wurden, aus begreiflichen Gründen, zahlreiche Unterlagen vorsätzlich vernichtet, andererseits verweigerten ihm manche Bankinstitute, etwa in Ungarn, die Akteneinsicht.

Dennoch ist es erstaunlich, was der Autor alles herausgefunden hat. So kann er zeigen, wie unterschiedlich die Bereitschaft zur Kollaboration in den einzelnen Ländern war. Dort, wo, wie in Belgien, Direktoren und Angestellte der Banken ihre Mitarbeit bei der Identifizierung ihrer jüdischen Einleger verweigerten, stieß die deutsche Enteignungspolitik rasch an eine Grenze. In anderen Staaten hingegen, in Frankreich oder in Ungarn, beeilten sich Behörden und Banken, den Wünschen der Besatzer nachzukommen und das Eigentum der Juden zu konfiszieren. In »geschichtskriminalistischer Kleinarbeit« rekonstruiert Aly ein besonders trauriges Kapitel: die Enteignung und anschließende Deportation der 46000 Juden von Saloniki im März 1943, bei der Deutsche und Griechen eng zusammenarbeiteten mit der Absicht, die inflationäre Drachme zu stabilisieren.

Götz Alys Untersuchung ist eine Spätfrucht materialistischer Geschichtsschreibung. Goldhagen wird gewissermaßen vom Kopf auf die Füße gestellt. Nicht ein besonders mörderischer, »eliminatorischer« Antisemitismus war, so gesehen, die entscheidende Triebkraft für den Holocaust, sondern das Interesse der NS-Führung, aus Vermögen und Besitz, ja selbst noch aus den Leichen der ermordeten Juden Europas möglichst viel Kapital zu schlagen, um sich mittels einer »Politik volksnaher Wohltaten« (in Kombination mit exemplarischem Terror gegen so bezeichnete »Volksschädlinge«) die Massenzustimmung immer wieder neu zu erkaufen.

Die Symbiose von »Volksstaat« und Verbrechen

Es fragt sich allerdings, ob damit das Motiv der materiellen Bestechung und Korrumpierung nicht beträchtlich überschätzt, das ideologische Moment, eine lange tradierte, seit dem 19. Jahrhundert intensivierte und von den Nationalsozialisten radikalisierte Judenfeindschaft, hingegen erheblich unterschätzt wird. Der fanatische Eifer, mit dem viele Deutsche bei der Ausführung des Verbrechens zu Werke gingen, dasfreiwillige Mitmachen aus Überzeugung, auf das Goldhagen zu Recht verwiesen hat – sie kommen in dieser Darstellung zu kurz.

Aly sieht in der großen Mehrzahl der Deutschen angepasste Mitläufer, die sich nach der Devise »Geld ist geil« der Mitnahmemöglichkeiten, die das Regime ihnen bot, dankbar erfreuten, sich ansonsten aber in passiver Loyalität übten, was indes für die Funktionsfähigkeit der Diktatur vollkommen ausgereicht habe. Das gläubige Vertrauen auf den charismatischen »Führer«, das Verfallensein an den Hitler-Mythos, das Ian Kershaw und jüngst Hans-Ulrich Wehler als stärkstes Bindemittel des Regimes beschrieben haben – es taucht nicht einmal mehr auf.

In der Quintessenz läuft das Buch auf eine neue Variante der Kollektivschuld-These hinaus. 95 Prozent der Deutschen, heißt es wiederholt, hätten direkt oder indirekt vom Massenraubmord profitiert. Hinter dieser magischen Zahl verschwimmen die sehr ungleich verteilten Grade individueller Schuld und Verantwortung. Es macht ja wohl einen gewaltigen Unterschied aus, ob zum Beispiel die Manager der Dresdner Bank rigoros das Geschäft der »Arisierungen« betrieben oder ob eine Hamburger Hausfrau bei einer Auktion einen Pelzmantel ergatterte, dessen Herkunft ihr womöglich nicht bekannt war.

Alys Interpretation enthält überdies eine fragwürdige aktuelle Pointe, die im Buch selbst nur angedeutet wird, die der Autor aber in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung (vom 1. September 2004) mit der ihm eigenen Lust an der Zuspitzung so formuliert hat: »Die Regierung Schröder/Fischer steht vor der historischen Aufgabe des langen Abschieds von der Volksgemeinschaft.« Die Demontage des Sozialstaats, wie wir sie gegenwärtig erleben, mit dem Hinweis auf das sozialpolitische Appeasement der Nazis rechtfertigen zu wollen ist freilich abwegig.

Dennoch: Nie zuvor ist der symbiotische Zusammenhang zwischen »Volksstaat« und Verbrechen, zwischen den attraktiven und kriminellen Elementen des Nationalsozialismus so scharfsinnig und einleuchtend dargestellt worden. Dieses Buch gehört zu jenen seltenen Werken, die unseren Blick auf die düsterste und folgenreichste Periode der deutschen Geschichte neu schärfen.

 

 

stern.de

   

"Hitlers Volksstaat"

Deutschland - Volk von Abzockern

Götz Aly: Hitlers Volksstaat.
Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus
S. Fischer Verlag, 464 Seiten, 22,90 Euro

Bislang sah man die Popularität des NS-Regimes vor allem in der breiten Zustimmung zur antisemitischen Politik begründet. Der Historiker Götz Aly präsentiert eine neue Sichtweise - und findet den Beifall der Fachwelt.

Mit seinem gerade erschienenen Buch "Hitlers Volksstaat" hat der Historiker und Journalist Götz Aly nach Meinung von Fachkollegen eine neue Deutung der deutschen Massengefolgschaft in der NS-Zeit vorgelegt. Anders als beispielsweise der US-Wissenschaftler Daniel Goldhagen ("Hitlers willige Vollstrecker") sehe Aly die Zustimmung weiter Teile der deutschen Bevölkerung zum Hitler-Regime nicht allein in einem mörderischen Antisemitismus begründet, heißt es in einer Rezension der neuen Ausgabe der Wochenzeitung "Die Zeit". Vielmehr beleuchtet der Autor, wie die Nazis innenpolitischen Rückhalt systematisch durch sozialpolitische Wohltaten bei mittleren und unteren Einkommensgruppen sicherten.

Zustimmung durch Umverteilung
"Die NS-Führung errichtete eine Gefälligkeitsdiktatur", sagte Aly in einem Interview der "Welt". Hitler habe sich die Zustimmung zu seiner Politik mit Hilfe sehr einfacher steuer- und sozialpolitischer Segnungen der Durchschnittsdeutschen erkauft. Einfach ausgedrückt wurden die oberen Einkommensschichten stärker belastet, Geringverdiener aber bewusst von Steuererhöhungen verschont - auch im Krieg.

Aly vertritt die These, dass die wohl kalkulierte Umverteilung von oben nach unten vor allem durch die systematische Enteignung jüdischen Eigentums und eine bis dahin ungekannte Ausplünderung der überfallenen und besetzten Länder finanziert wurde. "Hitlers zufriedene Räuber" titelt dann auch die Literaturbeilage der "Zeit" und schildert beispielsweise die deutschen Besatzer als "ein Heer von Schnäppchenjägern und Abzockern".

"Man wird sich von der Vorstellung trennen müssen, dass die NS-Politik bloß auf die verhängnisvollen Einflüsse fanatisierter völkischer Minderheiten zurückgeht", urteilt der Historiker Hans Mommsen in der "Süddeutschen Zeitung". Er widerspricht auch nicht Alys These von einer "kontinuierlichen sozialpolitischen Bestechung" durch das NS-Regime. Der Autor leiste vielmehr Pionierarbeit - unter anderem bei der Auswertung von Akten des Reichsfinanzministeriums, schreibt Mommsen.

 

Artikel erschienen am Sa, 12. März 2005

Der Raubmord

Götz Aly zeigt: Die Nazis waren völkische Sozialisten

von Christian v. Ditfurth

Götz Aly: Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus. S. Fischer, Frankfurt/M. 448 S., 22,90 EUR.

Wenige Wochen vor dem Abzug der Wehrmacht aus Griechenland deportierten die Nazis 1673 Juden von Rhodos und 94 von Kos. Die Schreckensreise endete am 16. August an der Rampe von Auschwitz. Als hätten die Deutschen, überall auf dem Rückzug, keine anderen Sorgen gehabt. Das fragen nicht nur Historiker: Wie kann man erklären, daß die Deutschen Juden zu Millionen deportierten und ermordeten - mitten in einem Krieg, welcher der Wehrmacht mehr als alles abverlangte? Da wurden Lokomotiven und Waggons dem militärischen Nutzen entzogen, Logistiker und Wachmannschaften beschäftigt, und solche gigantischen Menschenverschiebungen erforderten auch sorgfältige Erfassung und sonstige Planungsarbeit. Für dieses Rätsel fanden die Historiker keine Lösung, sofern sie der eher hilflose Verweis auf den "Nazi-Wahn" nicht zufrieden stellte.

Doch erkennt einen Sinn, wer diese abstrus erscheinende Mordaktion genau betrachtet. Das heißt zuerst: im richtigen Zusammenhang. Warum also die Deportation von Rhodos und Kos?

Auf der Zwischenstation in Piräus nehmen die Bewacher den Juden allen ihnen gebliebenen Besitz ab, Gebisse, Brücken und Kronen werden den Menschen aus dem Mund gebrochen. Den größeren Teil ihres Eigentums hatten die Opfer längst eingebüßt. Die Deportation entpuppt sich als Raub, vor allem von Gold. Aber auch den Rest der Beute - Wäsche, Möbel, Glas, Bücher - tauschte die Wehrmacht bei der griechischen Bevölkerung gegen Versorgungsgüter. Das schaffte ein neues Angebot auf dem Markt, und mit dem Verschwinden der Juden verminderte sich der Kaufkraftüberhang. Beides stabilisierte die Währung und verbesserte die Versorgung der Besatzer. Diese Methode hatte der Militärbefehlshaber in der Ägäis nicht erfunden. Es war, bei Abwandlungen im Detail, das übliche Vorgehen in den Ländern, die die Wehrmacht erobert hatte.

Nachdem nun auch die Juden der griechischen Inseln ausgeplündert waren, schickten die Deutschen die überflüssig gewordenen Esser in den Tod. So überbrückten sie den Nachschubengpaß, für den die britische Überlegenheit zur See und in der Luft sorgte. Und so setzten sie fort, was sie 1938 begonnen hatten. Denn für Krieg und Aufrüstung ließen die Nazis am liebsten andere bezahlen.

Nach dem Novemberpogrom hatte Göring die "Judenbuße" von einer Million Reichsmark verhängt. Und die Reichsfinanzverwaltung machte Nägel mit Köpfen. Heraus kam eine Steuer, die sogar mehr einbrachte als Görings Milliarde. Dieser riesige Betrag kam gerade recht: Die Kosten der Aufrüstung ließen die Finanzfachleute vor dem Staatsbankrott warnen.

So würde es nun bis 1945 gehen - wenn die Versorgung zusammenzubrechen drohte oder Geld fehlte, dann unternahmen die Deutschen einen Raubzug. Erst gegen die Juden im eigenen Land, dann gegen die Juden und die Völker in den besetzten Ländern. Gleich einem schlechten Seiltänzer, der, um sich vorm Absturz zu retten, immer schneller nach vorn trippelt, mußten die Nazis immer wieder Beute machen, weil der letzte Raubzug nur zeitweilig sättigte.

Die Räuber, das waren die Wehrmacht, die Reichsfinanzverwaltung unter dem Minister Schwerin von Krosigk und die Herren der Reichsbank, von denen nicht wenige nach dem Krieg ihre Distanz zum Regime betonen sollten. Zuvor aber überboten sie sich mit Ideen, um die Opfer bezahlen zu lassen. Weil ihr Führer es wünschte, achteten sie darauf, daß die arischen Arbeiter verschont blieben von der Last des Kriegs. Herrliche Zeiten für Banker und Haushälter. Nie zuvor und nie danach konnten sie ihre Fantasien so ausleben wie damals, als Hitler nur die Richtung vorgab und auf den Erfindungsreichtum der Fachleute setzte, auf die Jugend, auf die Rücksichtslosigkeit, auf das Aufbrechen bürokratischer Hierarchien, auf die Dynamik des Wettbewerbs um die besten Lösungen.

Das schildert und analysiert der Historiker Götz Aly in seinem bahnbrechenden Buch "Hitlers Volksstaat". Es zeigt, was andere für unerklärlich hielten. Alys Recherchen führten ihn in die Untiefen der deutschen Finanzverwaltung, in Abgründe des Steuerrechts und der Besatzungskosten, also überall dorthin, wo sich deutsche Historiker noch nie verirrt haben. Auch einem Freiburger Archivar wollten die Absichten des Autors gar nicht einleuchten: "Sie scheinen sich geirrt zu haben. Diese Akten bestellt normalerweise niemand." Dabei verbergen sich gerade in diesen Akten Wahrheiten, die einen mörderischen Sinn in Ausplünderung und Vernichtung zeigen: Auschwitz steht für einen Massenraubmord, der begangen wurde, um das Leben von Hitlers Zustimmungsdiktatur zu verlängern.

Die Wehrmacht folgte der Maxime, sich aus den besetzten Ländern zu ernähren und möglichst noch Versorgungsgüter nach Deutschland zu schaffen, damit es den Herrenmenschen nicht am Nötigsten fehlte. Wenn bei den Juden nichts mehr zu holen war und sie, nun mittellos, zu Versorgungsfällen zu werden drohten, haben die Deutschen sie deportiert und ermordet. Die sonstige Bevölkerung der besetzten Länder wurde ähnlich ausgenommen: Holländer, Belgier, Franzosen, Italiener, Polen trugen nicht nur die Kosten der Besatzung, sondern wurden darüber hinaus bis über die Grenze der Belastbarkeit zur Kasse gebeten. Die Deutschen bezahlen alles, sagten die Menschen in den besetzten Ländern, aber sie bezahlten mit den nationalen Währungen dieser Staaten und zu Lasten ihrer Völker. Sie stellten Reichskreditkassenscheine aus, wechselten sie um in nationale Währung und vertagten die Einlösung auf die Zeit nach dem Endsieg. Die Finanzexperten dachten darüber nach, wie sie die Kreditgeber auf den Arierschulden sitzen lassen könnten.

Hitlers Reich war ein nationaler Binnensozialismus, dessen Rechnungen die Juden Europas, die Völker der besetzten Länder und nicht zuletzt die deutschen Kapitalisten bezahlten. Die Berliner Juden müssen ihre Wohnungen räumen, forderte etwa Rüstungsminister Albert Speer, damit obdachlos gewordene "Arier" dort einziehen könnten. Sie brauchten auch die Möbel der Juden. Sie brauchten das Porzellan, die Wäsche, den Schmuck und die Bilder. Und die Deutschen kauften oder ersteigerten zum eigenen Nutzen und zugunsten der stets klammen Staatskasse alles übrige Eigentum der Juden, die in Viehwaggons in die Vernichtungslager verschleppt wurden.

Alles folgte der Maxime, die arischen Arbeiter und Angestellten nicht zu belasten. Sollten doch die Menschen in den besetzten Gebieten, vor allem im Osten, verhungern, Hauptsache dem deutschen Arbeiter ging es gut. Und der dankte es dem Führer.

Nicht das Abrutschen eines Volks in den Wahn erhob den Führer zur Gottesgestalt. Die Sorge für die arischen Arbeiter auf Kosten der Juden und der besetzten Länder - das war der Kitt, der das Dritte Reich zusammenhielt bis zum Ende. Die Ausplünderung der Juden brachte der staatlichen Raubmaschine erheblich mehr ein, als sie kostete. "Kraft durch Freude" war nicht weniger nationalsozialistisch als Auschwitz.

Götz Aly schreibt: "Wer von den vielen Vorteilen für Millionen einfacher Deutscher nicht reden will, der sollte vom Nationalsozialismus und vom Holocaust schweigen."

 

Artikel erschienen am Do, 10. März 2005

Hitlers Volksstaat war eine Gefälligkeitsdiktatur

Verbrechen und Sozialstaat: Der Berliner Historiker Götz Aly zeigt, warum die Deutschen ihrem Führer bis zum bitteren Ende folgten

von Eckhard Fuhr

Götz Alys gerade erschienenes Buch "Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus" beschreibt, wie die große Mehrheit der Deutschen von der verbrecherischen Politik der Nationalsozialisten profitierte. Mit Götz Aly sprach Eckhard Fuhr.

DIE WELT: Ihr neues Buch heißt "Hitlers Volksstaat". Damit setzen Sie sich ab vom allgemeinen Sprachgebrauch, in dem meist von "NS-Regime" oder "NS-Diktatur" oder "Hitler-Diktatur" die Rede ist. "Volksstaat" hat fast etwas Anheimelndes.

Götz Aly: Nein, überhaupt nicht. Sonst hätte ich das Wort nicht verwendet. "Volksstaat" ist ein Begriff, der damals laufend vorkam, und zwar nicht propagandistisch nach außen, sondern eher im inneren Sprachgebrauch. Goebbels verwendete ihn in seinem Tagebuch, Hitler benutzte ihn. Der Begriff erfaßt die damalige Realität besser als die Begriffe "Regime" oder "Diktatur", mit denen sich die deutsche Gesellschaft nach 1945 auf die Seite der NS-Opfer zu schlagen versuchte.

DIE WELT: Was ist der Realitätsgehalt des Begriffes "Volksstaat"?

Aly: Wenn Sie die Zeit des Nationalsozialismus betrachten, dann stehen Sie immer wieder vor der Frage, wie sich der hohe Grad an innerer Integration und Mobilisierung erklären läßt. Und wenn Sie das politische Spannungsverhältnis zwischen Volk und Führung im Deutschland des zwanzigsten Jahrhunderts insgesamt untersuchen, dann erkennen Sie rasch, daß es - sieht man einmal vom Sommer 1914 ab - nie eine größere Übereinstimmung zwischen Volk und Führung gab als in den zwölf kurzen Jahren der NS-Herrschaft. Das können wir uns heute - nach allem, was wir über die NS-Zeit wissen - nicht mehr vorstellen. Wir glauben, die Deutschen von damals seien völlig verrückt, fanatisiert einem Führer-Kult verfallen. Doch je mehr ich mich damit beschäftige, desto weniger bin ich davon überzeugt. Es waren die "weichen" Faktoren, die Gefolgschaft und Integration bewirkten: Die NS-Führung errichtete eine Gefälligkeitsdiktatur, eine Herrschaft des sozialpolitischen Appeasement. Politische Integration ist ja ein fortgesetzter, niemals beendeter Prozeß. Der Erfolg bleibt punktuell und muß immer wieder erneuert werden. Das gelang Hitler und seinen politischen Beratern mit Hilfe sehr einfacher - uns heute noch wohl vertrauten - steuer- und sozialpolitischen Segnungen zugunsten der Durchschnittsdeutschen.

DIE WELT: Sie belegen in Ihrem Buch detailliert, daß die nationalsozialistischen Wohltaten, die den Deutschen zuteil wurden, durch eine wahnsinnige Schuldenpolitik und durch Verbrechen, vor allem die Enteignung der Juden und die systematische Ausbeutung der besetzten Länder finanziert wurden. Die Mehrheit hat von den Verbrechen profitiert. Gibt es also doch eine Kollektivschuld?

Aly: Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich war von meinen Forschungsergebnissen selbst überrascht.

DIE WELT: Ich meine Folgendes: Man spricht von der Ermordung der europäischen Juden als dem absolut Bösen, aber auch als etwas Rätselhaftem, als ginge es um eine negative Offenbarung. Im Begriff Shoah schwingt das mit. Und Sie heben das plötzlich auf die Ebene banaler materieller Kalküle.

Aly: Was Sie als "negative Offenbarung" umschreiben, hängt mit der im historischen Vergleich ungeheuerlichen Schwere des Ereignisses und der Schwere der Traumatisierung sowohl der überlebenden Opfer wie der Täter zusammen. Die humane Notwendigkeit zur Verdrängung bestand nach 1945 auf beiden Seiten. Erst nach vielen Jahrzehnten eröffnet sich die Möglichkeit, die Dinge wie sie wirklich waren, Stück für Stück ins Auge zu fassen. Für meine Arbeit an diesem Buch gab es zwei Ausgangspunkte. Zusammen mit meinem Kollegen Christian Gerlach habe ich an einer Studie über die Deportation der ungarischen Juden im Jahr 1944 gearbeitet. Dabei gaben wir zum ersten Mal die Haltung auf, die Frage nach der kollaborativen Mitwirkung müßten wir Deutschen - aus Gründen des Takts - den ungarischen Historikern überlassen. Uns erschien es notwendig, das starke nationalungarische Interesse, das in Richtung Deportation drängte, darzustellen, um die politischen Prozesse sichtbar zu machen, die in der Schlußphase des Krieges zu dem Massenmord an mehreren Hunderttausend ungarischen Juden führten. Das Ergebnis unserer Untersuchung überraschte uns: Die aus dem Verkauf der Vermögenswerte erzielten Millionen-Einnahmen wurden regelrecht gewaschen und über kleinere Umwege der deutschen Kriegskasse einverleibt, obwohl der äußere Schein dafür sprach, nur Ungarn und der ungarische Staat hätten sich bereichert. Das hatten wir Historiker bis dahin übersehen. Daraus entstand die Frage: Wie war das in ganz Europa?

DIE WELT: Und was war der zweite Ausgangspunkt?

Aly: Ich bin auch Journalist und war einige Jahre für die Meinungsseite der "Berliner Zeitung" zuständig. Eines der großen Themen war damals die Entschädigung für ehemalige Zwangsarbeiter. Weil ich es besser wußte, störte mich von Anfang an das einseitige Abschieben der Schuld auf die deutsche Industrie, auf Banken, Lebensversicherungen usw. Meine Leserschaft, die zum Teil dem alten SED-Milieu entstammte, bevorzugte jedenfalls damals die Reduktion der historischen Schuld auf "das Kapital" im Vollgefühl historischer Rechthaberei. Ich schrieb deshalb einen Leitartikel, in dem ich auseinandersetzte, daß auch die deutschen Rentenkassen von der Zwangsarbeit profitiert hatten, und warf die Frage auf, wie es wäre, wenn die deutschen Rentner fünf Jahre lang drei Prozent ihrer Rente in den Entschädigungsfond zahlten. Am nächsten Tag erlebten die Sekretärinnen und die Leserbriefredaktion den Aufstand der neudeutschen Volksgemeinschaft. Da habe ich mir gesagt: Na wartet!

DIE WELT: Ihr Buch schließt mit dem Satz: "Wer von den Vorteilen für die Millionen einfacher Deutscher nicht reden will, der sollte vom Nationalsozialismus und vom Holocaust schweigen." Damit wischen Sie die berühmte Sentenz Horkheimers weg, daß, wer vom Kapitalismus nicht reden wolle, vom Faschismus schweigen solle. Dieses Paradigma hat jahrzehntelang die Forschung bestimmt.

Aly: Es ist immer noch das herrschende Paradigma, nicht nur auf Seiten der Linken. Selbst Unternehmen haben es ja internalisiert, wie man an der bezahlten Unternehmensforschung sieht. Im Fall Flick werden gleich zwei konkurrierende Projekte finanziert, die vermutlich beide an den wirklichen interessanten Fragen vorbeigehen werden.

DIE WELT: Sie richten den Blick auf die dunkle Seite des deutschen Sozialstaates. Tun sie das im Blick auf die gegenwärtige Sozialstaatsdebatte mit politischen Absichten?

Aly: Nein. Ich will verständlich machen, woher die verbrecherische Dynamik des Nationalsozialismus kommt. Daß im Nationalsozialismus um der sozialen Zufriedenheit - dem Volkswohl, wie man früher sagte - der Deutschen willen, das Glück und das Leben von Millionen Menschen geopfert wurden, das muß man sich klar machen. In keinem kriegführenden Land waren die Frauen der Soldaten so gut versorgt wie in Deutschland. Sie hatten Anspruch auf Sicherung ihres Lebensstandards. Und gerade in der Unterschicht haben Frauen im Zweiten Weltkrieg über so viel Geld verfügt wie noch nie zuvor.

DIE WELT: In den neunziger Jahren, als in Deutschland eine große Debatte über Einwanderung und Staatsbürgerschaft geführt wurde, haben Sie die NS-Volkstumspolitik ins Zentrum Ihrer Forschungen gestellt. Jetzt, da der Sozialstaat zur Debatte steht, nehmen Sie die sozialen Wirkungen der Kriegs- und Vernichtungspolitik in den Blick. Ist das nicht doch Geschichtswissenschaft mit gegenwärtigen Absichten?

Aly: Das hat damit zu tun, daß ich immer wieder als Journalist arbeite. Hätte ich einen Lehrstuhl, wäre ich heute möglicherweise zum Euthanasie-Fachmann verkümmert, weil die Euthanasie-Morde mein erstes großes Forschungsthema bildeten. Im übrigen sind alle Versuche zur Rekonstruktion geschichtlicher Ereignisse von den Fragen der Gegenwart zumindest mitbestimmt. Deshalb ist Geschichte auch niemals endgültig erforscht. Jede Generation schreibt sie neu, sucht neue Perspektiven der Annäherung.

DIE WELT: Empfinden Sie es als Vorteil, ein nicht zünftiger, ein freier Historiker ohne Lehrstuhl zu sein?

Aly: Ja. Aber neben einigem Beharrungsvermögen hatte ich auch Glück.

DIE WELT: Ist es ein Zufall, daß wichtige, aufrührende Bücher immer wieder von Historikern außerhalb des akademischen Betriebs geschrieben werden, wie jüngst etwa Jörg Friedrichs Buch über den Luftkrieg?

Aly: In Deutschland hat die akademische geschichtswissenschaftliche Routine etwas extrem Langweiliges. Man muß fürchten, daß bedeutende Gelehrte - wie beispielsweise Arno Borst oder Reinhart Koselleck - kaum noch nachwachsen. Vorherrschend ist eine fast schon habituelle Unlust am Fragen. Der Betrieb ist überfinanziert. An die 50 Prozent der Dissertationen scheitern an reinen Schreibschwierigkeiten. Und die, die geschrieben werden, sind zu 80 Prozent unlesbar. Das würde sich ändern, wenn die Druckkostenzuschüsse gestrichen würden und die Bücher sich am Markt behaupten müßten.

DIE WELT: Da, wo die Geschichtswissenschaft öffentlich gefragt ist, wie bei den Gedenkstätten, gibt sie auch kein überzeugendes Bild ab.

Aly: Hier hat sich ein Gedenkbürokratismus entwickelt, auch infolge einer verfehlten Personalpolitik. Überall sitzen schlecht gelaunte Langweiler; einfallslos und betulich kleben sie an ihren Lebenszeitstellen und verteidigen den Status quo.

DIE WELT: Was halten Sie von der Forderung Ihres Kollegen Ulrich Herbert, die Berliner Gedenkstätten Topographie des Terrors, Holocaust-Mahnmal und Haus der Wannseekonferenz zusammenzufassen und zu professionalisieren.

Aly: Das muß sein. Da sammeln drei Institutionen nebeneinanderher Bücher. Die Ausstellungen selbst werden vernachlässigt. Die Seminar-Arbeit des Hauses am Wannsee allerdings ist hervorragend. Ich habe dort erlebt, in welcher beeindruckenden Weise 30 Berliner Polizisten - von dem nicht fest angestellten Kollegen Peter Klein - die Rolle der verschiedenen Polizeiapparate bei der Judenvernichtung erklärt wurde. Besonders verschlafen und in den Dimensionen überproportioniert ist die Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Sie müßte, anders als Herbert es forderte, unbedingt in eine künftige Reorganisation einbezogen werden.

DIE WELT: Verlangt der Prozeß der Historisierung eine andere Art des Gedenkens?

Aly: Ja, wir sollten aufhören, Geschichte schlicht in Gut und Böse aufzuteilen und so zu tun, als ob das, was wir heute noch als gut akzeptieren, mit dem historischen Bösen nichts zu tun gehabt hätte. Mit dieser Illusion, die von Geschichtsoptimisten wie Jürgen Kocka, Heinrich August Winkler oder Hans Ulrich Wehler maßgeblich gefördert wird, geben wir den Anspruch auf, Geschichte wirklich zu verstehen. In den Biographien des zwanzigsten Jahrhunderts und in den Bänden des Reichsgesetzblattes zwischen 1933 und 1945, die in der Hauptsache heute noch gültige oder kaum abgewandelte Bestimmungen enthalten, wird doch sofort sichtbar, wie ineinander verschlungen das Böse und das Gute sein können.

DIE WELT: Man könnte Ihnen den Vorwurf einer mangelnden Wertehaltung machen.

Aly: Historiker sind nicht für Moral zuständig, außerdem sollte Geschichtswissenschaft keine Veranstaltung zum Zweck aktueller Besserwisserei sein. Je länger ich mich damit beschäftige, desto mehr komme ich zu der Überzeugung, daß viele Blickweisen auf einen Gegenstand nebeneinander berechtigt sind - vorausgesetzt, sie verbinden sich mit interessanten Fragen.

DIE WELT: Von dem Großthema der nationalsozialistischen Verbrechen sind sie nicht losgekommen. Da muß es doch einen außerwissenschaftlichen Antrieb geben.

Aly: Ich wollte immer wieder davon weg und bin doch immer wieder darauf zurückgekommen. Mein Buch über die "Endlösung", das ich dank der fördernden Hand von Jürgen Kocka schreiben konnte, war ursprünglich als eine Geschichte der Völkerverschiebung und ethnischen Bereinigung im zwanzigsten Jahrhundert überhaupt angelegt. Die Verengung kam dann, weil Kocka sagte, daß die Judenvernichtung nicht in den Zusammenhang einer allgemeinen Geschichte ethnischer Bereinigung gehöre. Für meine weitere Arbeit bleibe ich jedoch bei dem Ziel, den Holocaust in die europäische Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts einzuordnen.

DIE WELT: Dann sind Sie bei einer Frage, die auch Ernst Nolte stellt.

Aly: Ja, dann bin ich bei Nolte, was die Großperspektive angeht. Doch ich möchte die Einordnung in einer wesentlich konkreteren und offeneren und in einer nicht reduktionistischen Weise versuchen. Der Holocaust gehört - zumindest auch - in den Kontext der ungeheuren sozialen Mobilisierung seit dem Ersten Weltkrieg. In den Folgejahren wurden gewaltige Energien freigesetzt, die fast flächendeckend zur nationalen und sozialen Homogenisierung Europas führten. Auschwitz ist der extremste Fall der damit verbundenen politischen Entwürfe. Das Konzept, soziale Fortschritte, also das Gewinnen von mehr Gleichheit, auf Kosten Dritter zu erzielen, war nichts spezifisch Deutsches. Allerdings ist es von Deutschen, unter - sekundärer - Mit- und Beihilfe vieler anderer Europäer mit besonderer Radikalität und mörderischer Energie verfolgt worden.

Die Besprechung von Götz Alys Buch am Samstag in der "Literarischen Welt".

 

 

taz Magazin Nr. 7613 vom 12.3.2005, Seite VII, 299 Zeilen (Kommentar), J. ADAM TOOZE

Einfach verkalkuliert

Der Historiker Götz Aly wagt eine große These: Hitler erkaufte sich die Zustimmung zu seiner "Wohlfühldiktatur" vor allem, indem er die eroberten Länder und die Juden ausbeutete. Dazu erschließt Aly neue Quellen und erforscht akribisch den deutschen Ausbeutungskrieg. Nur: Ihm unterläuft ein grober, folgenschwerer Rechenfehler

VON J. ADAM TOOZE

Götz Aly: "Hitlers Volksstaat. Raub. Rassenkrieg und nationaler Sozialismus". S. Fischer
Verlag, Frankfurt am Main 2005, 448 Seiten,
22,90 Euro

"Wer von den Vorteilen für die Millionen einfacher Deutscher nicht reden will, der sollte vom Nationalsozialismus und vom Holocaust schweigen." So lautet der letzte Satz in Götz Alys neuem Buch, "Hitlers Volksstaat". Es ist eine polemische Zuspitzung des berühmten Satzes von Max Horkheimer: "Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen." Nicht der Kapitalismus also, sondern eine spezifische Ausprägung des europäischen Wohlfahrtsstaates ist der Hintergrund für die Morde und Ausbeutung des Nationalsozialismus.

Den Holocaust als Raubmord zu denken, daran hat man sich in den letzten Jahren gewöhnt. Die Gerichte und die Historiker neigten dazu, diesen Prozess vor allem als einen Akt privatwirtschaftlicher Bereicherung zu verstehen. Eine falsche Einschätzung, wie Aly überzeugend zeigt. Der Hauptzweck des Massenraubes war die Entlastung der Staatskasse. Das ist zwar keine neue Erkenntnis, denn die "Sühneleistung" von einer Milliarde Reichsmark, die der jüdischen Gemeinde in der Folge der Kristallnacht auferlegt wurde, steht zu offensichtlich im Zusammenhang mit der gut vertuschten Finanzkrise des Reiches im Herbst 1938. Und auch die Plünderung der Juden durch die Reichsfluchtsteuer ist lange bekannt.

Aber Aly belegt zudem, dass die staatliche Ausbeutung jüdischen Vermögens weit über solche Steuermaßnahmen hinausging. Selbst die "privaten" Arisierungen mutierten letztlich zu einem Akt staatlicher Aneignung. Erst wurde das Vermögen der Juden registriert, dann verkauft. Die deutschen Käufer profitierten von den Schleuderpreisen. Die kritische Frage ist: Was geschah mit den Milliarden Reichsmark, die jüdische Verkäufer einnahmen? Das Geld wurde zwangsweise in Staatsanleihen investiert. Das gesamte Vermögen der Juden kam, so Aly, am Ende dem Staat und der Rüstung zugute.

Nach 1940 machte dieses Modell überall im besetztem Europa Schule - in der Slowakei, in Frankreich, den Niederlanden, in Belgien, Griechenland, Rumänien und Bulgarien, selbst in Norwegen. Jüdischer Besitz wurde nicht einfach enteignet, sondern registriert und zwangsverkauft. Die ausgerissenen Zahnplomben, die Golduhren, der Familienschmuck wurden nicht in geheimen Schatzkammern gehortet oder in Seen versenkt. Sie wurden zumeist an Ort und Stelle verkauft. Das eingenommene Geld wurde, nominell noch im Namen der Juden, dann an den Staat geliehen und gelangte mehr oder weniger direkt in die Kassen der Wehrmacht. Selbst die letzten, berüchtigten Deportationen von griechischen Inseln im Herbst 1944, als der Krieg im Mittelmeer praktisch zu Ende war, finden hier mehr als nur eine ideologische Motivation. Mit dem Vermögen der Juden von Rhodos bezahlte die deutsche Garnison ein paar Monate ihre Rechnungen.

Die Brisanz von Alys neuem Buch liegt aber nicht in der Nachzeichnung dieser verwickelten Transaktionen. Die Großthese seines Buches zielt auf deren eigentliche Nutznießer: auf die deutschen Steuerzahler. Schon vor dem Krieg wurden in Hitler-Deutschland die Steuern nur sehr selektiv erhöht. So bestritt die Regierung zusätzliche Ausgaben für die Rüstung vor allem aus den Einkünften, die mit der Köperschaftsteuer und den Abgaben der besser Verdienenden erzielt wurden. Drakonische Kriegssteuern gab es auch nach 1939 nicht.

Folgt man Aly, wurde der Krieg vor allem mit den immensen Kriegsbeiträgen der besetzten Länder und durch die Liquidierung jüdischen Vermögens bezahlt. Das ist für Aly der Kern der NS-Herrschaft. Hitlers Regime sei eine "Gefälligkeitsdiktatur" gewesen: Die Menschen in den eroberten Staaten und die Juden wurden ausgebeutet, damit die Mehrheit der deutschen Bevölkerung nicht belastet werden musste. So sollte die Loyalität der Massen gesichert werden. Nicht Ideologie, sondern eine recht simple Form der Bestechung erklärt also, dass die Deutschen Hitler bis in den Untergang folgten. Keine Rede ist von nationalsozialistischer Überzeugung oder von Führerkult und auch nicht von der Gestapo oder den 30.000 an Volksgenossen vollstreckten Todesurteilen.

Alys Großthese ist höchst provozierend, und sie bringt den Autor in schwere Beweisnöte. Denn seine penible Rekonstruktion der finanziellen Mechanismen ist zwar faszinierend, aber sie reicht nicht aus, um seine These zu stützen. Das Gleiche gilt für die pikanten Geschichten zum Schwarzmarktverkehr zwischen den deutschen Besatzungstruppen und der Heimat, die er genüsslich ausbreitet. Die Streitereien um die "Gepäckzuteilungen" im Bahnverkehr und der Schmuggel mit Besatzungsgeld belegen eindeutig nur eins: Auch im Krieg aßen die Deutschen gern und schätzten schicke Kleidung. Zudem deutet Alys Argumentation darauf hin, dass ein Teil dieser Waren außerhalb Deutschlands besser zu haben war - was seine These nicht gerade stützt.

Da es an überzeugenden Belegen für Alys These mangelt, kommt es auf die Endrechnung an. Wenn Aly belegen kann, dass die Finanzspritze von außen eine wirklich massive Umverteilung der Kriegskosten ermöglicht hat, dann gewinnt seine These dramatisch an Überzeugungskraft. Nun haben sich mindestens drei Generationen von Volkswirten und Wirtschaftshistorikern mit diesem Thema beschäftigt. Aber Aly rechnet auf seine Weise. Auf der einen Seite akkumuliert er eine riesige Summe: die Besatzungskosten, die Handelsschulden Deutschlands, die Summen, die man von den Juden vereinnahmte, die Lohnsteuer, bezahlt durch die Fremdarbeiter. Alles zusammen 170 Milliarden Mark.

Dagegen setzt er den bescheidenen Betrag, der von den Deutschen selbst in der Form von zusätzlichen Kriegssteuern erhoben wurde - höchstens 84 Milliarden Mark. Fazit: 70 Prozent "der Gelder, die der Krieg auf deutscher Seite täglich verschlang", wurden vom Ausland und durch den Raubmord an den Juden finanziert. Gewöhnliche deutsche "Klein- und Durchschnittsverdiener" haben höchstens 10 Prozent der laufenden Kriegskosten des Reiches bezahlt. Eine beeindruckende Rechnung - wenn sie stimmen würde.

Nur: Sie stimmt nicht. Die Verhältnisse waren genau umgekehrt. Mehr als drei Viertel der Ressourcen für Hitlers Krieg wurden von der deutschen Volkswirtschaft, von den Deutschen selbst aufgebracht. Der Außenbeitrag war von großer Bedeutung, lag aber höchstens bei einem Viertel. Nicht 70 Prozent also, sondern nur 25 Prozent.

Aly verrechnet sich so grob, weil er unsymmetrisch vorgeht. Auf der deutschen Seite betrachtet er nur Steuern als Kriegsbeitrag. Bei den Fremdbeiträgen rechnet er alle Einnahmen zusammen, wie immer sie auch finanziert wurden. Ihm ist egal, ob nun zum Beispiel die französische Regierung das Geld für die Deutschen durch Steuern heranschaffte oder über Anleihen oder ob sie einfach Geld gedruckt hat. Genauso hätte Aly auch den deutschen Beitrag berechnen sollen. In Bezug auf die Opfer der deutschen Besatzung und Ausbeutung weiß er schließlich sehr wohl, dass Vermögen, die in Reichsanleihen gesteckt wurden, verloren waren. Die Kriegsinflation hat nicht nur die Zwangsanleihen der jüdischen Bevölkerung ausgelöscht, sondern auch die Sparkasseneinlagen "deutscher Normalverdiener". Es gibt keine moralische Gleichwertigkeit, aber in wirtschaftlicher Hinsicht müssen beide Beiträge zu den laufenden Kriegskosten des Reiches gerechnet werden.

Die Milliardenbeträge, die aus deutschen Sparkassen, Banken und Versicherungen über die so genannte geräuschlose Finanzierung in die Reichskassen geschleust wurden, waren die Hauptstütze der Kriegsfinanzierung, nicht die Steuereinkünfte und auch nicht die Besatzungskosten. Diese unfreiwillig angelegten Beträge waren der geldmäßige Ausdruck der reellen wirtschaftlichen Kosten des Krieges: Die Menschen konnten mit ihrem Geld weder konsumieren noch es investieren.

Auch wenn Hitlers Regime die Volksgenossen lieber nicht besteuerte - die Menschen, die Rohstoffe, die Kapazitäten der Industrie hat es trotzdem mobilisiert. Und das wird auch von den Ergebnissen der vergleichenden Forschung bestätigt, die Aly weitgehend ignoriert.

Es ist natürlich alles eine Frage des Maßstabes. So übertrifft die ungeheure Mobilisierungsleistung der stalinistischen Diktatur die aller westlichen Staaten bei weitem. Aber Alys Vergleichsmaßstab ist nicht die Sowjetunion, sondern das England von Churchill, das mythische, demokratische England - ein "Regime" also, das sich laut Aly siegesgewiss auf einen wahren Konsens seiner Bevölkerung stützen konnte.

Ein genauer Vergleich der beiden Kriegswirtschaften offenbart allerdings: Bis zur Kriegswende 1941 deckten die Steuern in Hitlers Gefälligkeitsdiktatur einen größeren Teil der staatlichen Ausgaben als in England. Und selbst 1944 zahlten die deutschen pro Kopf im Verhältnis zu ihrem Einkommen mehr Steuern als die Briten.

Wenn man nicht nur auf die Finanzierung, sondern auf die Mobilisierung der tatsächlichen Produktion schaut, wird Alys These sogar vollkommen haltlos. Nach der maßgeblichen Nationalproduktrechnung von Mark Harrison, dem führenden Vertreter der neueren Forschung zur Kriegswirtschaft, hat Hitlers Regime in jedem Jahr des Krieges der deutschen Bevölkerung mehr abverlangt als der alte Imperialist Churchill den Briten mit seiner Schweiß-und-Tränen-Politik.

Die Kriegsgesellschaft des nationalsozialistischen Deutschland als Gefälligkeitsdiktatur zu beschreiben geht an der Realität völlig vorbei. Selbst in den besten Zeiten war Hitlers Krieg ein riesiges Wagnis, für das Hitlers Regime alle zur Verfügung stehenden Mittel mobilisierte. Nach 1942 war es ein blutiger Opfergang, der in der Geschichte seinesgleichen sucht.

Seit mindestens zwanzig Jahren hat Götz Aly mit einer Fülle von Veröffentlichungen unser Verständnis des Nationalsozialismus enorm bereichert. Auch dieses Buch ist unbedingt lesenswert. Mit seiner dramatischen Scheinrechnung zu den fiskalischen Grundlagen von Hitlers Volksstaat setzt Aly jedoch einen gewaltigen Irrtum in die Welt. Sein wohlverdienter Ruf wird diesem Irrtum die nötige Autorität verleihen. Ein großer Irrtum bleibt es dennoch.

J. ADAM TOOZE lehrt Wirtschaftsgeschichte in Cambridge. Sein neues Buch "Wages of Destruction", eine Wirtschaftsgeschichte der NS-Diktatur, erscheint 2006 bei Penguin Books und im Blessing Verlag

 

taz Nr. 7615 vom 15.3.2005, Seite 17, 223 Zeilen (Kommentar), GÖTZ ALY

Nicht falsch, sondern anders gerechnet

Die Nazis finanzierten den Krieg, indem sie Juden und eroberte Gebiete ausplünderten. So sicherten sie sich die Loyalität der Deutschen. Dieses Bild ergibt sich, wenn man die Kriegseinnahmen zugrunde legt. Eine Antwort auf die Kritik von J. Adam Tooze an dem Buch "Hitlers Volksstaat"

VON GÖTZ ALY

Am vergangenen Wochenende besprach J. Adam Tooze mein Buch "Hitlers Volksstaat" im Magazin dieser Zeitung (taz vom 12./13. 3. 2005). Neben einigem Lob steht der Vorwurf, meine Zahlen zur deutschen Kriegsfinanzierung stimmten nicht; sie seien das Ergebnis grober Rechenfehler. In der Sache geht es um die Frage, wie es sich um die steuerliche Belastung der Deutschen in der Zeit zwischen dem 1. September 1939 und dem 8. Mai 1945 verhielt, wie sich der Kriegshaushalt zusammensetzte, wie das Verhältnis von laufenden Kriegseinnahmen und Kreditaufnahme zu beurteilen ist.

Ich setze den Anteil der externen Kriegseinnahmen - Einnahmen also, die den besetzten Staaten, Zwangsarbeitern und verfolgten Juden abgepresst wurden - mit ca. 70 Prozent an, Tooze hält dem entgegen, es seien ca. 25 Prozent Kriegslasten gewesen. Die Differenz erklärt sich zu einem erheblichen Teil leicht: Ich spreche von den Kriegseinnahmen; der Kritiker geht von den gesamten Kriegsausgaben aus. Die Verwechslung bildet die Grundlage seiner Polemik. Wie jeder weiß, können Einnahmen und Ausgaben, zumal im Krieg, weit auseinander klaffen.

An Zivil- und Kriegsausgaben wandte das Deutsche Reich im Zweiten Weltkrieg etwa 620 Milliarden Reichsmark auf. Von diesem Betrag sind pro Jahr rund 20 Milliarden Reichsmark - insgesamt also 110 Milliarden Reichsmark - als ziviler, auch im Frieden erforderlicher Grundbedarf des Großdeutschen Reiches abzuziehen. Demnach verblieben rund 510 Milliarden Reichsmark, die auf der deutschen Seite für Kriegszwecke verausgabt wurden. Davon konnte knapp die Hälfte - das war im historischen Vergleich ein außerordentlich hoher Anteil - aus laufenden Einnahmen gedeckt werden. Der Rest wurde zum kleineren Teil mit der Notenpresse, weitgehend aber mittels lang- und vor allem kurzfristig fälliger Schuldtitel des Reiches auf dem deutschen Geldmarkt beschafft. Diese Kriegskredite bildeten für die Deutschen während der NS-Zeit keine Belastung und blieben ihnen insgesamt gesehen gleichgültig. All das dürfte zwischen Tooze und mir nicht strittig sein.

Unter der Kapitelüberschrift "Kriegseinnahmen 1939-1945" betrachte ich die Quellen der laufenden Einnahmen genauer. Sie stammten tatsächlich zu mehr als zwei Dritteln aus externen Ressourcen, wurden also Menschen abgepresst und geraubt, die nicht zur deutschen Volksgemeinschaft zählten. Nur der kleine Rest der laufenden Kriegseinnahmen musste von den deutschen Steuerzahlern aufgebracht werden, und zwar in der Weise, dass die Besserverdienenden besonders hohe und die durchschnittlich und wenig Verdienenden äußerst geringe Lasten zu tragen hatten.

Im Gegensatz zu vielen anderen Historikern zähle ich die Geldzuflüsse, die der Reichsfiskus in zunehmendem Maß aus Zwangsarbeit bezog, nicht zu den laufenden internen Einnahmen des Reiches, sondern zu den externen. Sie stammten aus geraubter Arbeitskraft. Dasselbe gilt für den riesigen, ständig wachsenden Haushaltsposten, der unter dem schwammigen Titel "allgemeine Verwaltungseinnahmen" geführt wurde. Da ich vorsichtig kalkuliere, wird die weitere Forschung den Anteil der externen Kriegseinnahmen Deutschlands vermutlich noch höher ansetzen müssen. Erklärtes Ziel der fiskalischen Ausplünderung Europas und der als minderwertig eingestuften Menschen war es, "den deutschen Steuerzahler zu schonen", um seine zumindest passive Loyalität zur NS-Regierung zu wahren.

Was demgegenüber die Kreditaufnahme des Reiches, also die zweite Quelle der deutschen Kriegsfinanzierung betrifft, so behandle ich sie unter der Kapitelüberschrift "Virtuelle Kriegsschulden". Natürlich wurden diese Schulden mit der Niederlage auf die Gesamtheit der deutschen Staatsbürger umgelegt. Doch darauf kommt es in meinem Buch nicht an. Die Frage, wie hoch die Kriegslasten für die Deutschen nach 1945 wirklich waren, ist in den dort entwickelten Zusammenhängen uninteressant. Ich will wissen, was das nationalsozialistische Deutschland im Innersten zusammenhielt. Der Abschnitt beginnt mit dem klaren Satz: "Aus der rein spekulativen Technik der Kriegsfinanzierung folgte der Zwang zum Siegfrieden."

Mit Rücksicht auf die allgemeine Stimmung traute sich Hitler niemals, das Volk mit den realen Staatsschulden zu konfrontieren. Allerdings wurde viel dafür getan, mögliche Ängste vor einer mit der Schuldenmacherei verbundenen Inflation zu zerstreuen. 1942 teilte das Reichsfinanzministerium der Öffentlichkeit mit, den Kriegsschulden stünde "auf der Aktivseite ein Zugang an Werten und Ertragsquellen gegenüber, die ein Mehrfaches der gestiegenen Reichsschuld betragen". Es war vorgesehen, diese am Ende mit Hilfe des "gewaltigen Sachvermögens" zu tilgen, "das durch das deutsche Schwert gewonnen" worden sei, vornehmer und im Stil damaliger Finanzwissenschaftler gesagt: "durch den Rückgriff auf ausländische Volkswirtschaften".

Tooze blickt vom Endergebnis her auf die deutsche Kriegswirtschaft und sortiert. Unter dem methodisch unsinnigen Begriff "Symmetrie" rechnet er die Kredite, die beispielsweise der französische Staat aufnehmen musste, um die Tribute an die Deutschen zu bezahlen, mit den bei den deutschen Banken, Sparkassen und Lebensversicherungen untergebrachten internen Kriegsschulden des Deutschen Reiches zusammen und stellt buchhalterisch korrekt fest, beides seien Kredite gewesen. Ein solches formales Kriterium ist aber in diesem - und übrigens in vielen anderen Fällen - uninteressant. Das historische Problem liegt anders. Die französischen Kontributionen bildeten - gleichgültig wie sie innerhalb Frankreichs beschafft wurden - reale Einnahmen des Deutschen Reiches, von denen sofort jeder Deutsche profitierte. Dagegen verzögerten die für den Krieg auf dem deutschen Kapitalmarkt aufgenommenen Kredite die reale Belastung der deutschen Bevölkerung mit dem Ziel, diese Schulden so bald wie möglich versklavten Völkern aufzubürden. Deswegen bezieht sich meine Rechnung - wie die Kapitelüberschrift explizit sagt - auf die Kriegseinnahmen des Reiches und nicht auf die Gesamtheit der Ausgaben.

In meinem Buch "Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus" geht es darum, eine komplexe politische Situation zu beschreiben und verständlich zu machen. Deshalb spreche ich vor allem von laufenden Kriegseinnahmen und der damit verbundenen Lastenverteilung. Sie waren für die allgemeine Stimmung in Deutschland ausschlaggebend, nicht die Schulden, die von der politischen Führung erstens verheimlicht und zweitens als zu vernachlässigendes - wie ich schreibe: "virtuelles" - Problem weggeredet wurden.

 

taz Nr. 7616 vom 16.3.2005, Seite 16, 209 Zeilen (TAZ-Bericht), J. ADAM TOOZE

Doch falsch gerechnet - weil falsch gedacht

Hat Hitlers Regime die Loyalität der Deutschen erkauft, indem es Juden und eroberte Länder ausplünderte? Diese These verteidigte Götz Aly gestern. Zu Unrecht, wie unser Autor Adam Tooze zeigt

VON J. ADAM TOOZE

Meine Kritik an Götz Alys Buch "Hitlers Volksstaat" ist klar: Er hat die Kosten des Krieges für die Deutschen grob unterschätzt, weil er ausschließlich die Steuern berücksichtigt und die Leistungen, die über Anleihen finanziert wurden, nicht als Kriegskosten rechnet. Aly verkennt auch in seiner gestrigen Replik (taz, 15. 3. 05) die zentrale Bedeutung dieser Frage.

Worum es in meiner Kritik geht, ist nicht, wie er es darstellt, die buchhalterische Frage, wie Ausgaben und Einnahmen zugeordnet werden. Worum es geht, ist die klassische volkswirtschaftliche Frage: Wie werden die Kosten von Kriegen und von Sozialleistungen aufgebracht?

Um es deutlich zu sagen: Aly verrechnet sich - weil er falsch denkt. Er glaubt offensichtlich, dass staatliche Kredite nur zu einer Bürde werden, wenn man sie zurückbezahlen muss. Das geht aus seiner Replik hervor, in der es heißt, "die für den Krieg auf dem deutschen Kapitalmarkt aufgenommenen Kredite" "verzögerten" die "reale Belastung der deutschen Bevölkerung mit dem Ziel, diese Schulden so bald wie möglich versklavten Völkern aufzubürden". Die Aufnahme des Kredits selbst bedeutete also, so Aly, für die Deutschen keine "reale Belastung", erst die Tilgung, die dann aber auf die besetzten Gebiete abgewälzt werden sollte.

Dieser Gedanke aber, dass man mit Krediten die Belastungen eines Krieges "verzögern" kann, ist Alys grundlegender Denkfehler. Lassen wir Hitlers Finanzminister Schwerin von Krosigk sprechen, der, wie Aly weiß, durchaus auf der Höhe der Diskussion war:

"Das oft ins Feld geführte Argument, dass bei Steuern die Gegenwart, bei Schulden die Zukunft die Last trage, ist falsch. Der Güterbedarf des kämpfenden Heeres kann nur aus angesammelten Vorräten (der Vergangenheit) oder neu produzierten Waren (der Gegenwart) befriedigt werden. Die Last kann nicht auf die Zukunft verlagert werden."

Alys Annahme, die "reale Belastung" der deutschen Bevölkerung ließe sich "verzögern", teilte nicht einmal von Krosigk. Bei Vollbeschäftigung, die spätestens ab 1938 in Deutschland herrschte, geht jeder zusätzliche staatliche Bedarf, egal wie finanziert, direkt auf Kosten der privatwirtschaftlichen Aktivität. Das heißt in der gängigen Fachsprache der Volkswirtschaftler "Verdrängung", oder crowding out.

Der Herbst 1938 liefert ein dramatisches Beispiel für einen solchen "Verdrängungseffekt": Die Reichsbehörden verfügten eine Sperre für alle privatwirtschaftlichen hypothekarischen Kredite. Warum? Weil der Kapitalmarkt unbedingt für den Staat freigehalten werden sollte. Die Ersparnisse der Bevölkerung sollten dem Staat zufließen und nicht dem Wohnungsbau - obwohl man, so gängige Schätzungen, über 2 Millionen Wohnungen benötigte.

Im Krieg ging es dann nicht nur um die staatlichen Investitionen, sondern auch um den Konsum. Die Menschen mussten auf private Ausgaben verzichten. Das so "befreite" Geld, das auf die Sparkonten floss, wurde in Staatsanleihen angelegt. Die Finanzierung durch Anleihen "verzögerte" also nicht die "reale Belastung der deutschen Bevölkerung". Die angehäuften Wertpapiere waren der geldmäßige Ausdruck der unmittelbar anfallenden "reellen" Kriegskosten in Form von zurückgestautem Konsum und Investitionsbedürfnissen.

Anders gesagt: Die realen Kosten eines Krieges können nicht verzögert werden. Dafür kann man den Bürgern lediglich eine Kompensation versprechen. Eine im Krieg aufgenommene Staatsanleihe ist ein solches Versprechen. Die Bürger verzichten auf Konsum und erhalten dafür das Versprechen, dass die Anleihe mit Zinsen getilgt wird, was ihnen ermöglichen soll, zukünftige Bedürfnisse besser zu befriedigen. Wenn sogar die Ausländer die Spesen bezahlen, ist das noch besser. Aber das ist, wie gesagt, nicht mehr als ein Versprechen.

Die Reihenfolge ist folgende: Die realen Kosten des Krieges konnte Hitlers Regime nicht "verzögern". Sie fielen im Krieg an und mussten in der Hauptsache von der deutschen Volkswirtschaft getragen werden. Kompensation sollte nachträglich folgen - nicht, wie Aly meint, im Krieg selbst. Erst danach sollten die enormen, unmittelbar von den Deutschen getragenen Kriegskosten auf die Bevölkerungen des besiegten Europas abgewälzt werden. Ein intergenerationeller Vertrag der anderen Art.

Die Verteilung der Kriegskosten über die Form ihrer Finanzierung zu analysieren, wie es Aly versucht, vernebelt also die eigentliche Frage: Was hat der Krieg die Deutschen unmittelbar an entgangenem Konsum und nützlichen Investitionen gekostet?

Der beste Maßstab für die Kriegsbelastung eines Volkes ist nicht der Staatshaushalt, sondern das Sozialprodukt. Durch diese Bezugsgröße, nicht durch eine formalistische Entstellung des Reichshaushaltes, entsteht die Differenz zwischen Aly und mir. Und nicht nur zwischen uns, sondern zwischen Aly und der gesamten wirtschaftshistorischen Forschung.

Nehmen wir das kritische Jahr 1942. Nach Mark Harrison (Resource Mobilization for World War II: The U.S.A., U.K., U.S.S.R., and Germany, 1938-1945, EHR 41/2, S. 171-92) beliefen sich die Kriegsausgaben Deutschlands auf 69 Prozent des Nettonationalprodukts (ein Verwandter des Bruttosozialprodukts). 52 Prozent wurden intern aufgebracht, 17 Prozent als Außenbeitrag - also im Verhältnis von 3:1. Daraus und nicht aus einer formalistischen Reinterpretation der Haushaltszahlen ergibt sich der 25-prozentige Auslandsbeitrag, den ich gegen Alys 70 Prozent setze.

Unbestritten ist: Die besetzten Länder mussten zur nationalsozialistischen Kriegsführung einen gewaltigen Beitrag leisten. Auch bestreitet niemand, dass das deutsche Volk mit rosigen Versprechungen auf die Nachkriegszeit bei Laune gehalten wurde. Aber warum waren dieser Außenbeitrag und diese Versprechen auf weitere Reparationen so wichtig? Nicht weil die Deutschen geschont wurden, sondern weil den Deutschen für Hitlers waghalsigen Krieg mehr abverlangt wurde als der Bevölkerung jedes anderen vergleichbaren westlichen Landes. Ein Gefälligkeitsregime war das nicht, sondern eine fordernde und zunehmend repressive Diktatur.

 

  signandsight

2004-03-01

I am the people

By Götz Aly

The film "Der Untergang" (The Downfall) about Hitler's final days is not a "sign of emancipation", as one German paper would like to have us believe. There is no reason to fear that Germans are softening their stance on their greatest mass murderer by depicting him as too human. "The Downfall" shows the potentate in the exceptional moment of failure. The Soviet soldiers have left him no room to manoeuvre; the only choice that remains is between the poison and the bullet. Those who love to be horrified by Hitler will not be asking for a refund. But on an analytical level, the film leads nowhere, provokes shoulder-shrugging and head-shaking.

Neither Hitler nor Goebbels, himself the subject of a
recent documentary, were particularly fascinating as people. What is interesting is how and why they became vehicles of political will in Germany. Just asking this question raises the hackles of old 68ers, anti-Hartz reform protesters, members of the CSU and media-savvy executives alike.

Like all revolutionaries, Hitler and his youthful entourage created an atmosphere of "now or never". In 1933, when the Nazis took power, Goebbels was 35 years old, Heydrich 28, Speer 27, Eichmann 26, Mengele 21, Himmler and Frank 32. Göring, one of the older ones, had just celebrated his 40th birthday. As a functionary in occupied Prague, the 27-year-old
Hanns Martin Schleyer, later to become President of the Employer's Union, was amused by the hesitant elders, who were disturbed by the uprising of "real national socialism": "The readiness which the war instilled in us at an early age, to seek out tasks rather than wait to be assigned them, led us to positions of responsibility earlier than we expected."

Hans Schuster, born in 1915 and familiar to older readers of the Süddeutsche Zeitung as a senior editor, was made Economic Attaché to the German mission in Zagreb (Agram) in May 1941. He had previously worked at the German embassy in Bucharest, having written his PhD at Leipzig on "The Jewish Question in Romania". Writing in 1942, Schuster reflected on the previous year: "...things have gone almost too smoothly – although there was tension at times and some dangerous weeks - like the coup d'etat in Belgrade and then the war and our coup here in Agram. But then I had the good fortune to be given the responsibility of rebuilding this country, a laborious task I've been working at for a good half year under the excellent command of the Envoy Kasche (Storm Trouper Squadron Leader)!"

For the majority of young and by no means monstrous men, National Socialism meant freedom and adventure, a physical and mental anti-ageing program. They were looking for challenges, fun and the ultimate kick in the modern mobile war. They were in their early twenties, trying to find themselves, spurred on by feelings of omnipotence. They lacked the social skills to fit in. They created, in a destructive sense, the most successful generational project in modern history.

Hitler oriented himself to the mood of the population. He asked himself on an hourly basis how he could better satisfy the German majority. Playing a constant game of give and take, he established the redistributive state par excellence. The tax incentive for married couples, so vehemently defended by the conservatives in 2002, stems from 1934. The kilometre flat-rate so dear to today's Bavarian government dates back to the same tax reform law which stated: "It is a constitutional prerogative of National Socialism that citizens have their own homes in the open countryside ..." Since 1941, German pensioners have had a right to health insurance and are no longer dependent on public or church welfare. Under Hitler, the number of holidays was doubled.

Bonuses for working on Sundays, bank holidays and late shifts were taxed until October 2, 1940 at which point the Nazi government wrote them off with a flick of the wrist. Even the Reich's finance minister gave his approval "naturally, on condition that the war is over in 1940." And he rightly anticipated what a "strong impression" this good deed would make on the German public in the midst of a "gigantic war".

Anyone trying to understand the destructive success of National Socialism should look at the public face of the annihilation policy – the modern, cosy and obliging welfare state. During WWII, German soldiers' wives received twice as much family support as their British and American counterparts. They had more money than in peace times. The generosity of state benefits meant that women saw no reason to work. In 1942 it was suggested that state benefits be reduced and taxed but Hitler blocked the idea, fearing public opposition. Funk, the Reich's minister for economic affairs commented drily, "Our economic policy during the war was overly opulent. It is not easy to correct such a thing."

Until May 8, 1845, 80 percent of Germans paid no direct war taxes. The indirect taxes were limited to tobacco, brandy and beer. The Regime's cautious handling of the Volk was apparent in every last detail. In the so-called "South-Eastern German consumer region", the tax on a litre of beer (which Goebbels referred to as a "positive mood element") was 10 Reichspfennigs; in the North, it was about 30 more. There was no tax on wine because it would have affected wine producers who were "already struggling economically".

Protection against unfair dismissal, tenant protection regulations, protection from seizure under execution: hundreds of finely tuned laws were aimed at socio-political appeasement. Hitler ruled according to the principal of "I am the people", later to form the basis of the German Republic's welfare state. The Schröder/Fischer government now faces the historic task of bidding a prolonged farewell to the German community of the Volk.

Hitler gained overwhelming support with his policy of running up debts and explaining that it would be others that paid the price. He promised the Germans everything and asked little of them in return. The constant talk of "a people without living space", "international standing", "complementary economic areas" and "Jew purging" served a single purpose: to increase German prosperity without making Germans work for it themselves. This was the driving force behind his criminal politics: not the interests of industrialists and bankers such as Flick, Krupp and Abs. Economically, the Nazi state was a snowballing system of fraud. Politically, it was a monstrous bubble of speculation, inflated by the common party members.

Of course sceptics existed en masse. The majority of those who joined the National Socialist German Workers Party did so for one or other wishy-washy point in its programme. Some joined to fight the hereditary enemy France; others out of a youthful rebellion against establish norms. Catholic clergy blessed the weapons for the crusade against the godless Bolsheviks, while speaking out against euthanasia; and those predisposed to Socialism were attracted by the anti-clerical, anti-elitist aspects of National Socialism. After the war, millions of Germans had no qualms about redefining their party membership as "resistance", regardless of the party's horrendous legacy.

In this fast-paced political climate, pockets of tension formed under the all-embracing party umbrella. That was the political alchemy of his rule. There arose a constant tension everywhere the NSDAP used its policy of permanent dynamism to bring together conflicting elements: the nostalgic urge to preserve supposed traditions brushed up against the modern impulse to push technological boundaries; anti-authoritarian revolutionary fervour strained against an authoritarian utopian move towards a German autocracy. Hitler combined the rebirth of the nation with the threat of its demise, community-minded class harmony with the force of annihilation, managed through a strict division of labour.

The majority of Germans were thrown first into a state of delirium, then intoxicated by the lightning pace of history and finally – with Stalingrad, the carpet bombing and then the ever-increasing evidence of showcase terror in their own country - reduced to desensitised nervous wrecks. "It always feels like the cinema,"
Victor Klemperer's salesman Vogel commented in the middle of the Sudentenland Crisis in 1938. A year later, nine days after the beginning of the campaign against Poland, Göring promised the workers at the Rheinmetall-Borsigwerke metal works in Berlin that they could rely on a leadership which "I must say, is racing with energy." Words that Goebbels echoed in his diary: "a fantastic tempo, all day long".

In closed circles, Hitler often referred to the possibility of his imminent death in order to maintain the explosive tempo necessary for his rule. He moved like an amateur tightrope walker, taking ever more, ever quicker steps to keep his balance, then flailing about uncontrollably in a last ditch attempt to stay upright, before finally plummeting. The film "Der Untergang" (The Downfall) shows the final meters of his fall in slow motion. But no reasons are given for it.


Götz Aly, born in 1947 in Heidelberg, studied journalism, history and political science in Munich before completing his doctorate and habilitation at the Otto-Suhr-Institute in Berlin. He has been an editor at the Tageszeitung and the Berliner Zeitung, and now works as a freelance journalist. In 2002 he was awarded the Heinrich-Mann-Prize of the Berlin-Brandenburg Academy of Arts, and in 2003 the Marion-Samuel-Prize of the Foundation "Remembrance". Since 2002 he has been visiting lecturer for Holocaust research at the Fritz Bauer Institute in Frankfurt. Götz Aly has published widely on national socialist history and social policy, and his book "Hitler's Volksstaat.
Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus" (excerpt) will be published on March 10 by S. Fischer.

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